15. Jahreskongress Wissenschaft-Praxis in Bochum: Auswirkungen neuer Medien auf die psychische Gesundheit und digitale Technologien in der Psychotherapie
Die Nutzung digitaler Medien gehört heute für die meisten Menschen zum Alltag und Online-Aktivitäten in sozialen Netzwerken sind insbesondere für Jüngere eine Selbstverständlichkeit. Der 15. Jahreskongress Psychotherapie Wissenschaft-Praxis am 12. und 13. Oktober 2019 in Bochum griff diese Entwicklung auf und stellte die drei Eröffnungsvorträge unter das Thema „Facebook, Instagram und Co. – Chancen und Risiken der neuen Medien für die Psychotherapie“. Im Anschluss an den gemeinsamen Vormittag bot der von der Psychotherapeutenkammer NRW (PTK NRW) und dem Hochschulverbund Psychotherapie NRW veranstaltete Kongress in rund 50 Workshops ein breit gefächertes Programm zu unterschiedlichen Aspekten in der psychotherapeutischen Arbeit mit Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen. Mit 370 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war die Veranstaltung erneut sehr gut besucht; einige Workshops waren bereits weit im Vorfeld ausgebucht. Großen Anklang fand in diesem Jahr auch die praktische Umsetzung einer nachhaltigen und klimaneutralen Kongressgestaltung.
Eröffnet wurde der Kongress von Prof. Dr. Jürgen Margraf, Dekan der Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität-Bochum. Er begrüßte die drei Referentinnen, die den Kongress mit ihren Vorträgen eröffneten und Einblicke in spannende und dynamische Forschungsfelder gaben.
Datensicherheit ist das Kernthema
Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW (PTK NRW), betonte in seiner Begrüßung, dass der Einsatz neuer Medien in der Psychotherapie mit einem enormen Tempo voranschreite, erkennbar beispielsweise an der am 1. Oktober 2019 von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) geregelten Honorierung von psychotherapeutischen Behandlungen über Video. Zugleich sei die Entwicklung von Gesundheits-Apps stark in Bewegung. Viele Produkte sehe er als bloße "Angebotsblüten", ein echtes Problem hingegen sei die noch ungeklärte Frage der Datensicherheit. "Die Sicherheit der Daten muss als Basis unserer psychotherapeutischen Arbeit unbedingt gegeben sein", hielt Gerd Höhner fest. "Als Kammer werden wir uns dafür einsetzen, dass brauchbare Lösungen gefunden werden".
Des Weiteren seien für die Profession derzeit zwei Themen zentral. Das sei zum einen die ab 2020 greifende Ausbildungsreform. "Der Gesetzgeber hat mit der Ende September beschlossenen Reform die Basisforderungen der Psychotherapeutenschaft umgesetzt", fasste der Kammerpräsident zusammen. "Wir erkennen zwar Nachbesserungsbedarf, doch grundsätzlich ist die Reform ein großer Erfolg für unsere Profession. Dass andere Player im Gesundheitssystem teilweise erhebliche Widerstände gegen die Pläne der Bundesregierung vorgebracht haben, bestätigt letztlich Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten als ernstzunehmende Wettbewerber". Zum anderen müsse sich die Profession Gedanken um zukünftige Versorgungsangebote machen, beispielsweise für alte Menschen, bei psychischen Problemen in Verbindung mit chronischen somatischen Erkrankungen und in Bereichen wie der Jugendhilfe. "Ich bin optimistisch, dass wir den Versorgungsbedarf in Zukunft sichern können", schloss Gerd Höhner. "Wir haben gute Angebote und die steigende Nachfrage nach psychotherapeutischen Leistungen spricht für sich".
Soziale Netzwerke und psychische Gesundheit
In dem ersten Plenumsvortrag "Die schöne blaue Facebook-Welt und ihre Folgen" stellte Dr. Julia Brailovskaia von der Ruhr-Universität Bochum beispielhaft dar, welche Auswirkungen die Nutzung von sozialen Netzwerken auf das subjektiv empfundene Wohlbefinden und die psychische Gesundheit haben können. In ihrer Auswertung von 309 Online-Fragebögen von Facebook-Usern zwischen 18 und 58 Jahren konnte die Wissenschaftlerin deutliche Zusammenhänge zwischen der aktiven Nutzung des Online-Angebots und der Entwicklung einer von ihr als "Facebook Addiction Disorder" (FAD) bezeichneten Facebook-Sucht zeigen. Bei der Datenanalyse machte Dr. Brailovskaia dafür verschiedene, einander beeinflussende Faktoren aus. So erhöhe eine steigende Nutzungsintensität den Wunsch nach Bestätigung – und je mehr Bestätigung gesucht werde, desto intensiver werde die Nutzung. Zudem zeigte sich, dass sowohl die passive als auch die aktive Facebook-Nutzung mit einem reduzierten subjektiven Wohlbefinden in Zusammenhang stehen. Wichtige Schutzfaktoren, damit alltägliche Stressoren nicht zur Flucht in die Facebook-Welt führen, seien unter anderem körperliche Aktivität und soziale Unterstützung offline.
Psychotherapeutische Interventionen bei Cyberbullying
Der zweite Impulsvortrag von Dr. Nina Spröber-Kolb behandelte das Thema "Ist doch alles nur Spaß!? Psychotherapeutische Interventionen bei Cyberbullying". Cyberbullying käme verglichen mit realem Mobbing seltener vor, nehme jedoch tendenziell zu, hielt die Psychologische Psychotherapeutin aus Neu-Ulm mit Fachkunde für Kinder und Jugendliche fest. Teilweise sei es der direkte Anlass zur Kontaktaufnahme mit einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten, teilweise kristallisiere die Problematik sich in der Therapie als einer der Stressfaktoren heraus, die eine psychische Problematik auslösen.
Für die Opfer seien mit Cyberbullying besondere Belastungen verbunden. Dazu gehöre beispielsweise die Ungewissheit, von wem es ausgeht und wer es mitverfolgt. Schließlich legte Dr. Spröber-Kolb dar, wie Betroffene im Rahmen einer Psychotherapie Distanz zu Bedrohung und Verfolgung in der Online-Welt schaffen könnten, was sie emotional stabilisiere und welche Maßnahmen sie selbst ergreifen könnten. Wünschenswert sei zudem, dass in der Schule Fachwissen zu Cybermobbing vorhanden sei und bei Verdacht auf entsprechende Vorkommnisse auf ein funktionierendes Netzwerk professioneller Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zurückgegriffen werden könnte. Diskutieren müsse man Ansätze, wie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in die Prävention eingebunden werden können.
Digitale Techniken bei Psychosen und Paranoia
Der dritte Vortrag "Digital Revolution: how new technologies can improve the assessment and treatment of psychosis" von Dr. Mar Rus-Calafell von der Universität Oxford befasste sich mit dem Einsatz neuer Technologien in der Behandlung von Psychosen. Anhand von Fallbeispielen beschrieb Dr. Rus-Calafell, wie Patientinnen bzw. Patienten mit auditiven Halluzinationen durch computergestützte Interventionen lernen, die Stimmen in ihrem Kopf zu kontrollieren: Über ein Computerprogramm kreieren sie am Bildschirm einen Avatar und ordnen ihm eine Stimme zu, die der gleicht, die sie in ihrem Inneren vernehmen. Mit diesem "Gegenüber" können sie nun mithilfe der Psychotherapeutin bzw. des Psychotherapeuten einen Dialog starten. Das "Gespräch" wird in den Therapiestunden zunehmend positiver gestaltet und die Betroffenen lernen, negative Inhalte zurückzuweisen. Bereits als Kurzintervention von sieben Therapiestunden erweise sich dieses Vorgehen als sehr erfolgreich, erklärte Dr. Mar Rus-Calafell.
Erfolgreich sei auch der Einsatz der auf dem Handy nutzbaren digitalen Anwendung "SlowMo", informierte die Referentin. Sie ermögliche es Menschen mit Paranoia, für sie kritische Situationen zu "entschleunigen" und mit dem erlebten Stress besser umzugehen. Ziel sei, das Vermeidungsverhalten der Betroffenen einzudämmen und ihnen mehr Selbstständigkeit im Alltag zu ermöglichen. Die vielversprechenden Ergebnisse der Testphase würden darauf hindeuten, dass die Technologie in Kombination mit weiteren therapeutischen Maßnahmen in kurzer Zeit gute Behandlungserfolge bewirken könne, so Dr. Rus-Calafell.