BPtK-Studie 2018: Rund 20 Wochen Wartezeit auf psychotherapeutische Behandlung
Wer psychisch krank ist und psychotherapeutische Hilfe benötigt, muss auch ein Jahr nach der Reform der Psychotherapie-Richtlinie immer noch viel zu lange auf eine Behandlung warten: Von der ersten Anfrage bei einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten bis zum Beginn einer Behandlung liegen im Schnitt rund 20 Wochen. Das zeigt die im April 2018 veröffentlichte Studie „Wartezeiten 2018“ der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).
In den vergangenen 15 Jahren ist der Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungen deutlich gestiegen. Etwa jeder fünfte psychisch Kranke (18,9 %) erhält in dem Jahr, in dem er erkrankt, auch professionelle Hilfe, hat das Robert Koch-Institut ermittelt. Vor 20 Jahren traf das nur auf etwa zehn Prozent der Betroffenen zu. Die Verdopplung der Behandlungsquote ist darauf zurückzuführen, dass psychische Erkrankungen mittlerweile weniger stigmatisiert werden und psychisch kranke Menschen sich eher professionelle Hilfe suchen.
Psychotherapeutische Sprechstunde wird sehr gut angenommen
Ein Jahr nach der Reform der Psychotherapie-Richtlinie lässt sich zudem feststellen: Durch die im April 2017 eingeführte Sprechstunde werden psychotherapeutische Praxen als zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle für psychisch kranke Menschen bereits sehr gut angenommen. Die Wartezeiten auf ein erstes Gespräch konnten von 12,5 Wochen auf 5,7 Wochen verkürzt werden. Rund 70 Prozent der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten führen innerhalb von vier Wochen ein erstes Gespräch mit ihren Patienten. Sie können nun jeden kurzfristig beraten, der sich bei psychischen Beschwerden selbst nicht mehr zu helfen weiß. Bisher waren durch die langen Wartezeiten vor allem Patienten benachteiligt, die besonders lange krank waren.
Akutbehandlung ermöglicht rasche Hilfe
Zudem konnte mit der Akutbehandlung im Zuge der Reform für die meisten Patientinnen und Patienten, die nicht auf eine Richtlinien-Psychotherapie warten können, ein rasches Hilfsangebot geschaffen werden. Patientinnen und Patienten in psychischen Krisen erhalten eine Akutbehandlung circa drei Wochen, nachdem sie für notwendig erachtet wurde, so die Studie der BPtK. Zwei Drittel aller Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (66,3 %) bieten die Akutbehandlung innerhalb von zwei Wochen an. Ein kleinerer Teil der besonders dringend behandlungsbedürftigen Patientinnen und Patienten wartet allerdings nach wie vor noch zu lange auf psychotherapeutische Hilfe.
Besonders lange Wartezeiten auf dem Land und im Ruhrgebiet
Hinsichtlich der Wartezeit auf eine Richtlinien-Psychotherapie hat die BPtK-Studie deutliche Unterschiede zwischen Stadt und Land ermittelt. In Großstädten liegt die durchschnittliche Wartezeit bei etwa vier Monaten, außerhalb der Großstädte dagegen bei durchschnittlich fünf bis sechs Monaten. Diese Unterschiede entstehen dadurch, dass nicht überall gleich viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten je Einwohner zugelassen sind. Außerhalb der Ballungszentren sind deutlich weniger Zulassungen möglich als in den Großstädten. Die Bedarfsplanung unterstellt damit, dass psychische Erkrankungen auf dem Land wesentlich seltener sind als in der Großstadt. Dies widerspricht jedoch großen bevölkerungsrepräsentativen Studien des Robert-Koch-Instituts. Sie zeigen auf, dass sich die Häufigkeit von psychischen Erkrankungen zwischen städtischen und ländlichen Regionen kaum unterscheidet (Bundes-Gesundheitssurvey, DEGS1-MH-Studie). Auch die Annahme, dass Großstädte ihre Umgebung mitversorgen und deshalb im Umland eine geringere Psychotherapeutendichte ausreiche, stimmt häufig nicht. Tatsächlich sind die Wartezeiten auf eine Psychotherapie in der Umgebung einer Großstadt erheblich länger als in den Großstädten selbst.
Ein Sonderfall ist das Ruhrgebiet: Zwischen Duisburg und Dortmund sind entgegen der grundsätzlichen Systematik der Bedarfsplanung für eine großstädtische Region besonders wenige Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten vorgesehen. Psychisch kranke Menschen müssen dort daher mehr als sieben Monate auf den Beginn einer Behandlung warten, zeigt die „Wartezeitenstudie 2018“.
BPtK fordert mindestens 7.000 Praxissitze zusätzlich
Seit Jahren warten psychisch kranke Menschen monatelang auf eine psychotherapeutische Behandlung. Der Gesetzgeber hatte eine grundlegende Reform der Bedarfsplanung bereits zum 1. Januar 2017 verlangt. Bis heute hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) jedoch nicht einmal ein Konzept vorgelegt. „Die Gesundheitspolitik darf vor den überlangen Wartezeiten psychisch kranker Menschen nicht mehr die Augen verschließen“, betont BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz anlässlich der aktuellen Studienergebnisse. „Damit sich Wartezeiten deutlich verkürzen, müssen mehr Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zugelassen werden. Die Bundespsychotherapeutenkammer fordert mindestens 7.000 psychotherapeutische Praxissitze zusätzlich, insbesondere außerhalb der Großstädte."