Bundestagswahl 2021 – Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen stärken
Am 26. September 2021 haben die Wählerinnen und Wähler in Deutschland ihre Stimmen für den 20. Bundestag abgegeben. Die Psychotherapeutenkammer NRW hatte im Vorfeld der Wahl auf drängende Fragen zur Verbesserung der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen hingewiesen. In einem Anschreiben an die gesundheitspolitisch aktiven Kandidatinnen und Kandidaten der Bundestagsparteien aus Nordrhein-Westfalen wurden zu verschiedenen Feldern Positionen des Berufsstandes benannt; verbunden mit der Aufforderung, in der kommenden Legislatur als neuer Bundestag dem aufgezeigten Handlungsbedarf Rechnung zu tragen. Die Psychotherapeutenkammer NRW unterstützt in diesem Zusammenhang die auf dem 38. Deutschen Psychotherapeutentag (DPT) vorgetragenen Positionen der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) „Politik für Menschen mit psychischen Erkrankungen 2021 - 2025“ [PDF, 198 KB].
Feststellungen der Psychotherapeutenkammer NRW
In Deutschland und gerade auch in Nordrhein-Westfalen (Stichwort: Ruhrgebiet!) gibt es immer noch erhebliche soziale und regionale Unterschiede in der psychotherapeutischen Versorgung psychisch kranker Menschen. In der Corona-Pandemie haben psychische Erkrankungen zugenommen, womit sich bestehende Probleme weiter verschärfen. Die Hochwasserkatastrophe im Juli dieses Jahres hat weiteren psychotherapeutischen Versorgungsbedarf ausgelöst, den es zu regeln gilt. Hierbei sind Bundes- wie Landespolitik gleichermaßen gefordert.
Dabei sollte die Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Versorgung grundsätzlich im Dialog mit dem Berufsstand geleistet werden; es ist keine Lösung, für psychisch kranke Menschen die Versorgung zum Beispiel über die Einführung einer Rasterpsychotherapie weiter zu verschlechtern. Psychische Erkrankungen müssen ernst genommen werden, ihre Behandlung braucht Unterstützung. Eine zeitnahe, fachgerechte und moderne Versorgung ist dabei effektiv, kostensparend und lindert das Leid der Betroffenen nachhaltig.
Die Psychotherapeutenkammer NRW sieht daher in der kommenden Legislatur folgenden Handlungsbedarf:
Ambulante psychotherapeutische Versorgung stärken: Wartezeiten von drei bis neun Monaten auf einen psychotherapeutischen Behandlungsplatz sind unzumutbar. Vor allem in ländlichen und strukturschwachen Regionen sollten zusätzliche psychotherapeutische Kassensitze geschaffen werden. Dabei muss die Mindestquotierung für Kinder und Jugendliche erhalten bleiben, um gleichermaßen die psychotherapeutische Versorgung junger Menschen zu stärken. Für eine schnelle Versorgung z.B. aufgrund von Katastrophen und Krisensituationen, wie sie in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Corona-Pandemie und der Hochwasserkatastrophe notwendig wurde, werden flexible Regelungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) benötigt. Der Ausbau von befristeten Anstellungen und Ermächtigungen muss erleichtert werden. Des Weiteren muss eine zeitnahe, bürokratiefreie und versorgungsorientierte Genehmigung von Anträgen auf Kostenerstattung für Psychotherapie gemäß § 13 Abs. 3 SGB V möglich sein und von den gesetzlichen Krankenkassen eingefordert werden.
Integrierte Versorgung für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen fördern: Für Erwachsene mit schweren psychischen Erkrankungen kann mit der ambulanten Komplexversorgung ein integriertes Behandlungsangebot unter der Koordination von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten entstehen (s. aktuelle Richtlinie KSVPsych-RL [externer Link] des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Dies ermöglicht passgenaue Angebote für Patientinnen und Patienten mit primär psychotherapeutischem Behandlungsbedarf. Auch Kinder und Jugendliche mit schweren psychischen Erkrankungen benötigen solche integrierten Versorgungsangebote. Der Gemeinsame Bundesausschuss sollte beauftragt werden, bis Mitte 2022 die Richtlinie über die ambulante Komplexversorgung bei Kindern und Jugendlichen zu beschließen. Außerdem sollte im Rahmen der Komplexversorgung ein Anspruch auf heilpädagogische, sozialarbeiterische und psychologische Leistungen im SGB V verankert werden, die auch von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verordnet werden können. Die am 2. September 2021 im Gemeinsamen Bundesausschuss verabschiedete Richtlinie zur Komplexversorgung stellt einen wichtigen Schritt in eine zweckdienliche Richtung dar, zeigt aber noch deutliche Mängel.
Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stärken: Neben dem Ausbau psychotherapeutischer Behandlungsplätze für Kinder und Jugendliche müssen in Kindertagesstätten und Schulen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sie auch unter den Bedingungen einer Pandemie geöffnet bleiben können. Pädagoginnen und Pädagogen brauchen mehr Zeit und fachliche Unterstützung, um psychische Probleme der Kinder- und Jugendlichen noch früher wahrzunehmen und darauf reagieren zu können. Niedrigschwellige psychosoziale Unterstützungsangebote sowie ein breites Freizeitangebot müssen finanziell gesichert werden. Jugendhilfe und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten müssen stärker als bisher kooperieren können, um Kindern und Jugendlichen die notwendige Unterstützung zu bieten.
Finanzierung der Weiterbildung: Mit der Reform der Psychotherapeutenausbildung gelang es in der letzten Legislaturperiode, die Zukunft der Psychotherapie auf hohem fachlichem Niveau zu sichern. Offen ist jedoch noch, wie eine ausreichende Finanzierung der ambulanten Weiterbildung gelingt. Modelle in Anlehnung an die Finanzierung der Weiterbildung zur Fachärztin bzw. Facharzt für Allgemeinmedizin könnten eine Lösung sein.
Klimaschutz ist auch Gesundheitsschutz: Die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat die Folgen der Klimakrise auf die körperliche und psychische Gesundheit drastisch vor Augen geführt. Die nächste Bundesregierung muss daher alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um den Temperaturanstieg unter 1,5 Grad Celsius zu halten.