Die Regionalversammlung für den Regierungsbezirk Münster am 8. November 2022 im Rückblick
Mit reihum in den Regierungsbezirken des Landes durchgeführten Regionalversammlungen bietet der Vorstand der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen den Kammermitgliedern in der jeweiligen Region ein Informations- und Austauschforum zu aktuellen berufspolitischen Entwicklungen. Auch Informationen über Aktivitäten der Kammer auf Landes- und Bundesebene gehören zur Agenda. Im Fokus der Regionalversammlung für den Regierungsbezirk Münster am 8. November 2022 standen die Themen Versorgungsplanung, die Weiterbildungsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen sowie Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Es hatten sich 45 Kammermitglieder zu der in Präsenz durchgeführten Veranstaltung angemeldet. Die Teilnehmenden nutzten rege die Gelegenheit, sich einzubringen und nach den vorherigen Online-Terminen nun wieder persönlich mit Vorstandsmitgliedern, Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch zu kommen.
Versorgungsplanung in Nordrhein-Westfalen
Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, begrüßte die Kammerangehörigen, die teilnehmenden Vorstandsmitglieder und die Mitarbeitenden der Geschäftsstelle. In seinen Erläuterungen zu Defiziten der psychotherapeutischen Versorgungsplanung in Nordrhein-Westfalen hob er hervor, dass wenig präsent sei, auf welchen Grundlagen sich die psychotherapeutische Versorgung entwickelt habe. Für den Berufsstand und das Verständnis der aktuellen Situation habe dies jedoch große Bedeutung. Als die Profession 1999 als eigenständiger Heilberuf rechtlich begründet worden sei, habe der Gesetzgeber das damals vorhandene „Ist“ zum „Soll“ erklärt. Die ambulante Psychotherapie sei zu der Zeit jedoch noch im Aufbau gewesen. Angesichts der fehlerhaften Verhältniszahlberechnung sei man mit einer Unterdeckung von an die 50 Prozent in die Versorgung gestartet.
Dieser Mangel sei bis heute nicht ausgeglichen worden, kritisierte Gerd Höhner. Zwar habe es aufgrund der Aktivitäten der Kammer und der Profession insgesamt Initiativen zur Verbesserung des Sachstandes gegeben. Doch in der Summe seien die Ergebnisse unzureichend. So hätte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einem von ihm beauftragten Gutachten zufolge rund 2.400 zusätzliche Praxissitze schaffen müssen. Realisiert habe man jedoch nur knapp 740 neue Niederlassungen, davon 117 in Nordrhein-Westfalen. Von fachlichen Argumenten seien solche Entscheidungen in der Regel nicht getragen, hielt der Präsident fest. Die Kammer werde das Thema Versorgungsplanung auch weiterhin auf die Tagesordnung setzen. Der Vorstand stünde dazu in gutem Kontakt mit den Ansprechpersonen im nordrhein-westfälischen Landtag und finde mit seinen Anliegen durchaus Gehör. Die Profession sei im System etabliert und ihr wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung werde gesehen.
Weiterbildung in den Händen der Profession
Mit Blick auf die berufliche Qualifizierung der Profession hatte der Gesetzgeber bei der Errichtung der Berufe der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychologischen Psychotherapeuten sowie der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten eine „absurde“ Systematik geschaffen, erklärte Gerd Höhner. Angesichts fehlender Einigkeit der Länder, die für Weiterbildung verantwortlich sind, habe man festgelegt, dass auf einen akademischen Abschluss eine Ausbildung erfolgen muss. Dies sei mit dem Psychotherapeutengesetz von 2019 endlich Geschichte. Im reformierten System absolvieren Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten künftig nach einen Approbationsstudiengang eine Weiterbildung. Sie zu organisieren, sei Aufgabe der Kammer und bedeute einen Zuwachs an Zuständigkeit für die Profession.
Zunehmender Bedarf an Psychotherapie
Seit vielen Jahren registriere man eine hohe und steigende Nachfrage nach psychotherapeutischen Angeboten, insbesondere im ambulanten Bereich, fuhr Gerd Höhner fort. Dieser wachsende Bedarf werde von den Kostenträgern allerdings in der Regel infrage gestellt. Valide Statistiken der Deutschen Rentenversicherung beispielsweise würden jedoch einen nachweislichen Anstieg von Frühberentungen aufgrund psychischer Erkrankungen belegen. Zudem würden Patientinnen und Patienten, die vormals fälschlicherweise somatisch behandelt wurden, mittlerweile eher mit Psychotherapie versorgt. Dabei sei die Kooperation zwischen Ärzte- und Psychotherapeutenschaft oft deutlich besser als von den Funktionären dargestellt.
Als Indikator für die gestiegenen Bedarfe nannte der Präsident die deutlich zu langen Wartezeiten auf eine Psychotherapie. Nicht zuletzt hätten auch die Coronapandemie und die Flutkatastrophe in Teilen Nordrhein-Westfalens im Sommer 2021 zu mehr Anfragen geführt. Die Kammer werde die Entwicklung der Bedarfe weiterhin aktiv verfolgen.
Die Weiterbildungsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen
Vorstandsmitglied Hermann Schürmann stellte in seinem Vortrag die Weiterbildungsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen vor. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hatte die Reform der beruflichen Qualifizierung der Profession gefordert, um zu einer strukturellen Änderung zu gelangen, rief er in Erinnerung. Daraufhin sei ein langwieriger und arbeitsintensiver Reformprozess unter breiter Beteiligung der Profession angelaufen. Aktuell sei man in Nordrhein-Westfalen an dem Punkt, dass die Kammerversammlung in einer außerordentlichen Sitzung am 16. September 2022 die Weiterbildungsordnung für zukünftige Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verabschiedet habe. Ihre Grundlage sei die im November 2021 beim 39. Deutschen Psychotherapeutentag verabschiedete Muster-Weiterbildungsordnung. Derzeit liege die Weiterbildungsordnung der Kammer dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) Nordrhein-Westfalen als zuständiger Aufsichtsbehörde zur Prüfung und Genehmigung vor.
Die Weiterbildungsordnung für nach neuem Recht approbierte Kammermitglieder setze sich aus einem Paragraphenteil und drei Anlagen zusammen, beschrieb Hermann Schürmann. Hinzugekommen sei als drittes, eigenständiges Gebiet zusätzlich zur Psychotherapie für Erwachsene und für Kinder und Jugendliche die neuropsychologische Psychotherapie. Dies werde dazu beitragen, die Versorgung von Menschen mit Hirnverletzungen und -erkrankungen zu verbessern. Bei der Gestaltung der neuen Weiterbildungsstruktur habe man zudem auf Flexibilität – auch zur Vereinbarkeit mit Sorgearbeit und wissenschaftlicher Qualifizierung – geachtet. Es sei daher möglich, die Weiterbildung in Teilzeit zu absolvieren, wenn sie in dieser Zeit die hauptberufliche Tätigkeit darstelle. Des Weiteren erläuterte Hermann Schürmann die Rolle der Weiterbildungsbefugten und welche Weiterbildungsstätten im ambulanten, stationären und institutionellen Versorgungsbereich von der Kammer anerkannt werden.
Die Umsetzung der Weiterbildung
Derzeit arbeite man auf Bundesebene unter anderem an der Konzeption eines elektronischen Logbuchs, in dem Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ihre in der Weiterbildung erworbenen Kompetenzen dokumentieren. Auch Muster-Richtlinien zur Anerkennung von Weiterbildungsstätten und Weiterbildungsbefugten würden derzeit erstellt. Sie sollen die Länderkammern bei der Umsetzung der Weiterbildung unterstützen. Eine der wichtigen Aufgaben hinsichtlich der operativen Umsetzung und Verstetigung der Weiterbildung sei, die noch offenen Fragen zur Finanzierung zu klären. Auf Landesebene sei man aktuell damit befasst, potenzielle Träger der Weiterbildungsstätten zu gewinnen und die Administration in der Kammer aufzubauen, schilderte Hermann Schürmann. Eine wesentliche Aufgabe sei zudem, Informationen über die neue Qualifizierungsstruktur der künftigen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in die Fachöffentlichkeit zu tragen. Grundsätzlich sei es das Ziel, die Weiterbildung möglichst bürokratiearm durchzuführen. Damit sie reibungslos anlaufen könne, sei nun besonders wichtig, dass sich ausreichend Kolleginnen und Kollegen für den beruflichen Nachwuchs einsetzen und Weiterbildungsbefugte werden. Diese Aufgabe sei sowohl im stationären Bereich als auch in der Niederlassung mit spannenden und interessanten Tätigkeiten und Verantwortung verbunden, motivierte er alle Interessierten.
Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen
Barbara Lubisch aus dem Vorstand der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen beleuchtete Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen und ihre Auswirkungen auf die psychotherapeutische Praxis. Die Kommunikation sei digitaler geworden, auch die jetzige Regierung treibe die Digitalisierung weiter voran und die Bevölkerung befürworte digitale Angebote. Der Berufsstand könne sich daher diesem Thema nicht entziehen. Grundsätzlich würden sich für die Profession drei Themenkomplexe als zentral erweisen: die Telematikinfrastruktur, Internet in der Psychotherapie und das Querschnittsthema Datenschutz und Datensicherheit.
Auf die Telematikinfrastruktur blicke man derzeit sehr kritisch, sagte Barbara Lubisch. Sie sei zwar seit einiger Zeit in Teilen etabliert, biete der Profession jedoch bisher keinen Nutzen. Viele ihrer sogenannten Meilensteine würden nicht richtig oder nur aufwändig funktionieren. Auf die vorgesehenen Honorarkürzungen reagiere man entsprechend verärgert. Auch die Möglichkeiten der Refinanzierung der hohen Kosten und Zeitaufwände bei der Umsetzung der Telematikinfrastruktur seien nicht zufriedenstellend. Gremien wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) würden dies anmahnen und fordern, Fehler und Baustellen bei der Nutzung der Datenautobahn für das Gesundheitswesen zu beheben. In der Profession sei man aufgrund der negativen Erfahrungen derzeit für die Telematikinfrastruktur wenig offen, auch wenn sie vom Prinzip als sinnvoll betrachtet werde. Niedergelassenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten riet Barbara Lubisch, mithilfe der Checklisten zur Umsetzung der IT-Sicherheitsrichtlinie die Gegebenheiten in der eigenen Praxis zu überprüfen und zertifizierte Dienstleister zu wählen.
Internet in der Psychotherapie
Durch die Coronapandemie hätten Videosprechstunden einen Aufschwung erfahren, informierte Barbara Lubisch. Sie umzusetzen, habe gut funktioniert und Studien würden positive Effekte dieser digitalen Angebote belegen. Für detailliertere Informationen verwies sie auf die Praxis-Info „Videobehandlung“ der Bundespsychotherapeutenkammer [PDF, 256 KB]. In ihren Erläuterungen zur Blended Therapy, der Kombination von Online-Interventionen und face-to-face-Therapie, verwies sie auf die Möglichkeit, sich an der derzeit laufenden Studie zur TONI-Therapie (Therapeutische Online-Intervention) [externer Link] zu beteiligen. Ziel der Untersuchung der Freien Universität Berlin und der Psychologischen Hochschule Berlin in Zusammenarbeit mit der Bundespsychotherapeutenkammer sei, mehr über Möglichkeiten und Nutzen der Integration von Online-Behandlungselementen in die ambulante Psychotherapie zu erfahren. Ausführlich ging Barbara Lubisch auf Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) ein. Dieser in den letzten Jahren stark gewachsene Markt werde von der Profession in vielerlei Hinsicht kritisch gesehen. Beispielsweise fehle eine ausreichende Wirksamkeitsprüfung der DiGA. Es sei auch nicht zu verantworten, dass Krankenkassen sie direkt an Versicherte abgeben können. Ebenso sehe man Probleme beim Datenschutz.
Die Kammer beschäftige sich intensiv mit den beschriebenen Fragestellungen der Digitalisierung, die Kammerversammlung habe in Resolutionen kritische Punkte aufgegriffen und ein Handeln der Politik anmahnt, hielt Barbara Lubisch fest. Die Informationsveranstaltungen der Kammer zu Fragen der Digitalisierung in der Psychotherapie und zu der elektronischen Patientenakte als eine Anwendung der Telematikinfrastruktur hätten viel Zuspruch erfahren. Das spürbare Interesse der Kammermitglieder an diesen Themen sei erfreulich. Es sei wichtig, sich als Berufsstand an der Meinungsbildung zu diesen Themen zu beteiligen, die Entwicklungen kritisch zu begleiten und aktiv mitzugestalten.
Interessierte Fragen, vielschichtige Diskussionsbeiträge
Viele Teilnehmende nutzten die Möglichkeit, Fragen an die referierenden Vorstandsmitglieder zu stellen und Kommentare einzubringen. Kammerpräsident Gerd Höhner fasste abschließend zusammen, dass man sich im Rahmen der Regionalversammlung auf die Darstellung der aktuellen Situation bei den drei Themenbereichen konzentriert habe, auch wenn sie kompliziert sei. Bedauerlicherweise registriere man immer wieder, dass fachliche Aspekte oft erst auf der zweiten oder dritten Ebene ins Feld geführt würden. Dennoch könne man als Bilanz festhalten: 20 Jahren nach Errichtung ihrer Berufe sei die Profession ausgesprochen erfolgreich. Dies habe viel damit zu tun, dass sich zahlreiche Kolleginnen und Kollegen engagieren – in und außerhalb der Kammer. Es sei ein großes Ziel der Kammerarbeit, die Psychotherapie im Alltag präsenter zu machen. Dieses Vorhaben werde man aktiv weiter verfolgen.