Drängende Versorgungsfragen im Fokus: Empfang der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen am 22. September 2023

Von links nach rechts: Barbara Lubisch, Andreas Pichler, Matthias Heidmeier, Gerd Höhner, Hermann Schürmann, Bernhard Moors. © Andreas Wiese

Rund 125 Vertreterinnen und Vertreter  aus dem Gesundheitswesen und aus Politik, Forschung und Lehre waren am 22. September 2023 zum Empfang der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen nach Düsseldorf gekommen. Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer, hieß die Gäste in der modernisierten und erweiterten Geschäftsstelle im Namen des Kammervorstands herzlich willkommen.

Er begrüßte insbesondere Matthias Heidmeier, Staatssekretär für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, der den nordrhein-westfälischen Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann mit einem Grußwort vertrat. Der Geschäftsführerin und auch dem Team der Geschäftsstelle insgesamt dankte er für das große Engagement bei der Mitgestaltung der neuen Räumlichkeiten der Kammer. Andreas Pichler, Vizepräsident der Psychotherapeutenkammer, moderierte den berufspolitischen Teil des Abends, der nach Ausführungen zu drängenden Fragen der psychotherapeutischen Versorgung mit angeregten Gesprächen in entspannter Atmosphäre ausklang.

Erfolgreiche Kammergeschichte

Gerd Höhner schilderte in seiner Begrüßung die Geschichte der Kammer als eine Erfolgsgeschichte. Man sei 2001 mit gut 5.500 Mitgliedern und wenigen Mitarbeitenden in kleinen Büroräumen gestartet. Mittlerweile würden der Kammer 14.300 approbierte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten angehören. Die neuen Räumlichkeiten der Geschäftsstelle seien diesem Wachstum nun gefolgt.

In seiner Ansprache (hier nachzulesen) ging Gerd Höhner darauf ein, dass viele Menschen infolge der Corona-Pandemie und weiterer Krisen wie dem Krieg in der Ukraine und dem Klimawandel psychisch belastet seien. In der Versorgung verzeichne man mittlerweile eine erhebliche Nachfrage nach psychotherapeutischen Hilfen. Insbesondere die Fallzahlen bei Kindern und Jugendlichen seien enorm gestiegen. Das Bedrohungserleben sei in der psychotherapeutischen Arbeit angekommen und die Versuche der Patientinnen und Patienten, ihre schwierige Wirklichkeit zu verleugnen, seien gut bekannt. In der Therapie stelle sich die Aufgabe, einen vorsichtigen, aber konsequenten Weg in die Wirklichkeit zu finden.

Erfahrungen aus den Therapien gesamtgesellschaftlich wertvoll

„Mit Blick auf die Befindlichkeiten in unserer Gesellschaft stehen wir im Grunde vor der gleichen Herausforderung“, stellte Gerd Höhner fest „Wir sehen eine ausgesprochene Flucht in die Irrationalität, in Ersatz- und Parallelwelten, eine anwachsende Aggressionsbereitschaft in Wort und Tat. Und wir sehen absurde Erklärungen und Lösungsvorschläge.“ Der Berufsstand und die Gesellschaft insgesamt müsse den Menschen jedoch die Wahrheit zumuten. Dies gebe letztlich allen eine gemeinsame Aufgabe, die handlungsfähig mache und das Erleben des Ausgeliefertseins überwinde. „Wir können und sollen unser Wissen, unsere Erfahrungen hinsichtlich der Auseinandersetzung mit den Belastungen in der Gesellschaft anwenden“, erklärte der Kammerpräsident. „Die Überwindung der kritischen Situation ist möglich, sie verlangt von uns Ausdauer und Solidarität. Den Versprechungen einfacher und schneller Lösungen müssen wir unüberhörbar widersprechen.“

Die Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen habe seit ihrer Gründung die Psychotherapie erfolgreich als wesentlichen Teil in der Behandlung und Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen und Krankheiten etablieren können, hielt er fest. Heute sähe man sich in der Verantwortung für die Qualitätssicherung und die Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Versorgung. Ebenso wesentlich sei die Aufgabe, die gesellschaftlichen Bedingungen für die psychische Gesundheit zu verbessern. „Psychische Gesundheit ist ganz wesentlich von den Lebensumständen abhängig, an denen wir eine gemeinsame Verantwortung tragen“, betonte Gerd Höhner. „Als Kammer werden weiter die Bedingungen für psychische Gesundheit thematisieren und die Rahmenbedingungen dafür schaffen, psychischen Störungen und Krankheiten vorzubeugen.“

Wertschätzung für den Berufsstand, Wunsch nach Zusammenarbeit

Staatssekretär Matthias Heidmeier betonte, dass er von dem Prinzip der Kammern überzeugt sei, und bekräftigte die Entwicklung der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen als eine Erfolgsgeschichte  – für die Profession und für Patientinnen und Patienten. Er gratulierte der Kammer zu ihrem erfolgreichen Weg und übermittelte die besten Wünsche von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann für ihr weiteres Wirken.

Matthias Heidmeier ging darauf ein, dass heute über psychische Krankheitsbilder und Herausforderungen wesentlich offener gesprochen werde als früher. Die sei ein Fortschritt. Festhalten müsse man auch: Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten würden gebraucht und die gesundheitliche Versorgung sei ohne sie nicht mehr denkbar. Eines der wichtigen Themen, die aktuell im Landtag häufig zur Sprache kämen, sei die psychotherapeutische und psychosoziale Notfallversorgung. Wie auch zu anderen Themen werde die Zusammenarbeit mit der Kammer zu diesem wichtigen Versorgungsthema im Ministerium sehr geschätzt. Angesichts der Hochwasserkatastrophe an der Ahr und in Teilen Nordrhein-Westfalens sei deutlich geworden, dass man im Grunde nicht vorbereitet war. Derzeit arbeite man im Landtag daran, eine sinnvolle Versorgungskette zu definieren und gegebenenfalls gesetzlich zu verankern. Es müsse allen klar sein, nach Großschadensereignissen müssen Menschen versorgt werden, auch diejenigen, deren Traumata langfristige Unterstützung erfordern. Man wolle dazu noch in diesem Jahr Vorschläge vorlegen, versprach der Politiker. Man ziehe mit der Kammer auch hinsichtlich der Aufgabe an einem Strang, auf Bundesebene den Bedarfsschlüssel für Psychotherapie zu verändern, der mit der Versorgungsrealität nicht mehr übereinstimme.

Derzeit erlebe man wie vom Kammerpräsident beschrieben eine in vielerlei Hinsicht gestresste Gesellschaft und müsse große Themen bewältigen, auch um dem Vertrauensverlust gegenüber der Politik zu begegnen, so Matthias Heidmeier. Er sehe aber auch viele Potenziale in allen Lebensbereichen. Sie wolle man im Ministerium gerne mit der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen gemeinsam für die Zukunft nutzen. Der Berufsstand sei notwendig für eine gute gesundheitliche Versorgung. Man schätze ihn außerordentlich und baue auf eine starke Zusammenarbeit mit der Kammer.

Lageeinschätzung und Lösungsansätze zur Stärkung psychotherapeutischen Versorgung 

Im Übergang zu den sich anschließenden Streiflichtern (Stichpunkte dazu sind hier nachzulesen) wies Vizepräsident und Moderator Andreas Pichler darauf hin, dass man bewusst auf Vorträge und Präsentationen verzichtet habe. Vielmehr wolle man im Rahmen der Festveranstaltung prägnant und lebendig einige der aus Sicht der Kammer wichtigsten gesundheitspolitischen Themenbereiche rund um die psychotherapeutische Versorgung in Nordrhein-Westfalen und Lösungsvorschläge dazu aufzeigen.

Barbara Lubisch nahm den Bereich der ambulanten Versorgung in den Blick. Die Psychologische Psychotherapeutin ist seit 2009 Mitglied im Vorstand der Kammer. Sie war lange Zeit in Gremien der Kassenärztlichen Vereinigung in Nordrhein tätig und als stellvertretende Vorsitzende in der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) aktiv. Aktuell ist sie Mitglied im beratenden Fachausschuss Psychotherapie der KBV. Barbara Lubisch mahnte unter anderem an, die im Koalitionsvertrag der auf Bundesebene regierenden Parteien angekündigte Reform der Bedarfsplanung endlich anzugehen. Auch eine eigene Bedarfsplanung für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie sei vorzunehmen. Der Bundesgesetzgeber habe zudem die Pflicht, zeitnah die Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung zu regeln.

Hermann Schürmann, Psychologischer Psychotherapeut, seit 2001 im Vorstand der Kammer und in der Klinik Wittgenstein in Bad Berleburg langjährig in Leitungsfunktion und auch im Bereich Ausbildung verantwortlich tätig, griff drängende Themen in der stationären psychotherapeutischen Versorgung auf. Als zentral nannte er unter anderem die notwendige Anpassung der Richtlinie über die Ausstattung der stationären Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik mit dem für die Behandlung erforderlichen therapeutischen Personal (PPP-RL) sowie Erleichterungen in der sektorübergreifenden Versorgung. 

Prof. Silvia Schneider, seit 2021 Koordinatorin des an der Ruhr-Universität Bochum beheimateten Netzwerkes als einem von sechs Standorten des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG), verdeutlichte den hohen Stellenwert von Interventionen im Kindes- und Jugendalter für die Prävention psychischer Erkrankungen und den Erhalt psychischer Gesundheit. Weiterführend erläuterte die Psychologische Psychotherapeutin mit Fachkundenachweis Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen insbesondere die zentrale Bedeutung von Kontextfaktoren auch für die Wirksamkeit von Psychotherapie und inwiefern Versorgungsforschung in bestehende Strukturen implementiert werden sollte. Festgehalten wurde auch, dass die Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen und das DZPG viele Positionen teilen würden und ein Zusammenwirken angestrebt werde.

Präventive Gruppenangebote für Kinder- und Jugendliche als Erfolgsmodell

Bernhard Moors stellte die in Nordrhein-Westfalen umgesetzten präventiven Gruppenangebote für durch die Corona-Pandemie psychisch belastete Kinder und Jugendliche vor. Er arbeitet seit 2009 im Kammervorstand mit, ist Mitglied der Vertreterversammlung der KBV und der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein und Vertreter für den Bereich Kinder- und Jugendtherapie im Fachausschuss Psychotherapie der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut verdeutlichte, dass die erfolgreichen Gruppen und die hohe Beteiligung niedergelassener Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit und ohne Kassenzulassung im Praxistest zeigen würden, dass Prävention funktioniere. Es sei entsprechend sinnvoll und wichtig, solche Angebote im Bereich der ambulanten Psychotherapie zu fördern. Gerade in Krisenzeiten sei es angezeigt, neue und unbürokratische Wege einzuschlagen und niederschwellig anzusetzen. Aus diesen Erfahrungen gelte es für die Zukunft zu lernen.

Andreas Pichler dankte Prof. Silvia Schneider und den Vorstandsmitgliedern abschließend für Ihre Ausführungen. Die Gäste regte er an, über die in den Streiflichtern thematisierten Anregungen, Lösungsansätze und Forderungen an die Gesundheitspolitik ins Gespräch zu kommen und sie darüber hinaus in ihren jeweiligen Arbeitsbereich mitzunehmen. Auch die Kammer werde sie weiterhin immer wieder ansprechen und sich beharrlich für die Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung in Nordrhein-Westfalen engagieren.

Weitere Informationen auf der Homepage

Unter Empfang der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen am 22.09.2023 finden Sie unsere digitale Pressemappe zum Empfang der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen am 22. September 2023 inklusive einer Fotostrecke des Abends.

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