Fachtag „Spezielle Psychotherapie bei Diabetes“ der PTK NRW am 31.10.2018 in Düsseldorf
Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Diabetes mellitus und Psyche und welche Bedeutung kommt der Psychotherapie bei dieser chronisch-somatischen Erkrankung zu, mit der in Deutschland etwa 6,7 Millionen Menschen leben? Diesen Fragen widmete sich die Psychotherapeutenkammer NRW (PTK NRW) mit einem Fachtag „Spezielle Psychotherapie bei Diabetes“, zu dem rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Düsseldorf gekommen waren.
In seiner Begrüßung wies Gerd Höhner, Präsident der PTK NRW, darauf hin, dass sich der Ausschuss Fort- und Weiterbildung der Kammer engagiert für die Konzeption eines Fachtages eingesetzt habe, der die Situation und den Handlungsbedarf im Themenfeld Diabetes und Psychotherapie beleuchtet. Mit Blick auf den Stellenwert der Psychotherapie im Gesundheitswesen hielt er fest, dass Psychotherapie vermehrt nachgefragt und als eine nachhaltige Behandlung wahrgenommen werde, die es den Menschen ermöglicht, in ihrem Alltag besser zurechtzukommen. „Gerade für das Leben mit chronischen somatischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus können wir wirksame Hilfen anbieten“, erklärte Gerd Höhner. „Dabei geht es nicht um eine psychotherapeutische Mitbehandlung, wir sind nicht der Sozius auf dem Motorrad, das von jemand anderem gesteuert wird. Es geht um Konzepte, wie sich die betroffenen Menschen mit der dauerhaften Kränkung durch ein beschädigtes Selbst und der unweigerlich aufkommenden Frage nach der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen können und was ihnen hilft, die bei Diabetes höchst anspruchsvolle Therapie eigenverantwortlich gut umzusetzen.“ Auch seitens der Fachgesellschaften würde der Ruf nach Behandlungskonzepten für Menschen mit chronisch-somatischen Erkrankungen laut. „Ebenso danke ich der Politik für ihre Aufmerksamkeit dem Thema Diabetes und Psychotherapie gegenüber“, so der Kammerpräsident.
Schnittstelle zwischen Diabetes und Psychotherapie
Dr. Ralf Brauksiepe, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Patientinnen und Patienten, knüpfte in seinem Grußwort an die Worte des Kammerpräsidenten an und betonte, ein gezieltes Vorgehen gegen Volkskrankheiten wie Diabetes sei auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Man müsse allerdings immer auch den Einzelnen sehen. Viele Betroffene hätten damit zu kämpfen, die Erkrankung zu akzeptieren; möglicherweise käme es zu Ängsten und Depressionen. Zwischen Psychotherapie und Diabetes würde sich somit eine spannende Schnittstelle ergeben und es sei erfreulich, dass sich die PTK NRW dieses Thema auf die Agenda geschrieben habe und damit den Weitblick beweise, sich aktuellen Themen anzunehmen.
Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen
Prof. Dr. Karin Lange von der Medizinischen Hochschule Hannover, Fachpsychologin Diabetes DDG und Vorsitzende des Ausschusses „Fachpsychologe/in Diabetes DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft), erläuterte in ihrem Vortrag die Besonderheiten bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes. Mit Zahlen und praxisnahen Beispielen verdeutlichte sie, wie anspruchsvoll und zeitaufwändig die intensivierte Insulintherapie bei Kindern mit Typ-1-Diabetes ist. Zudem wurde deutlich, wie stark Eltern die Therapie im Alltag steuern und verantworten müssen, welche kontinuierlichen Anpassungsleistungen von allen Beteiligten gefordert werden und wie die Umsetzung der Therapie das System Familie psychisch belasten kann.
In der Pubertät kämen die Autonomiebestrebungen der Jugendlichen hinzu, die sich ausprobieren wollen und womöglich gegen eine lebenslange Diagnose rebellieren, erklärte Prof. Lange. Eine psychosoziale Betreuung, wie sie als „soll“-Regelung in die Leitlinien eingegangen ist, sowie familientherapeutische Ansätze seien daher zentral für die Versorgung betroffener Kinder und Jugendlicher. Der Zugang zu kompetenter professioneller Betreuung, die konkrete, kohärente Zielsetzung durch ein multiprofessionelles Team und eine funktionierende Familie, die motiviert, unterstützt und Erziehungskompetenz besitzt, seien die drei wichtigsten Determinanten der Stoffwechseleinstellung von Kindern und Jugendlichen, fasste die Referentin zusammen.
Psychische Belastungen bei Erwachsenen mit Diabetes
Dr. phil. Rainer Paust, Leiter des Instituts für Psychosoziale Medizin am Elisabeth-Krankenhaus Essen, bekräftigte in seinem Vortrag, dass sich aus der Versorgung heraus immer wieder zeigen würde, wie wichtig konkretes Wissen über Diabetes mellitus für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sei, um Patientinnen und Patienten zu verstehen und mit Diabetes verbundene psychische Aspekte adäquat aufgreifen zu können. Der Alltag mit Diabetes sei komplex und voller Herausforderungen. Was Betroffene in ihrem Leben und in der Auseinandersetzung mit der Erkrankung erleben, beeinflusse wiederum ihren Umgang damit sowie ihre Fähigkeit und Bereitschaft, die Therapie sorgfältig umzusetzen.
Anhand von Beispielen erläuterte Dr. Paust das Ausmaß diabetesbezogener Belastungen und psychischer Probleme bei Diabetes und zeigte auf, dass die Prävalenz depressiver Störungen bei Menschen mit Diabetes doppelt so hoch sei wie bei Stoffwechselgesunden. Der Diabetes würde das Risiko für Depressionen erhöhen, Depressionen und ihre Auswirkungen auf den Lebensstil wiederum würden das Risiko für schlechte Blutzuckerwerte und Folgeschäden steigern. Zusätzlich würden Ängste beispielsweise vor Hypoglykämien sowie Essstörungen eine Rolle spielen. Es sei hilfreich, wenn Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die mit Diabetes verbundenen Herausforderungen kennen – und erfreulich, dass die PTK NRW dieses Thema aufgreife.
Ruf nach Fachleuten und Netzwerken
Weitere Gäste in der sich anschließenden Podiumsdiskussion waren Ursula Breitbach aus dem Vorstand der Deutschen Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes Landesverband NRW e.V., Uwe Schönrade, niedergelassener Psychologischer Psychotherapeut und Fachpsychologe DDG aus Köln und Prof. Dr. Bernhard Kulzer, Leitender Psychologe der Diabetes-Klinik Bad Mergentheim. Ursula Breitbach machte deutlich, dass es bei Diabetes keine Standardbehandlung gibt. Jede Erkrankung sei individuell zu sehen und um Betroffene bei Problemen im Alltag und in einem selbstbewussten Umgang mit Diabetes zu unterstützen, seien weitergebildete Fachleute gefragt. Ein wichtiges Anliegen war ihr die Bildung von Netzwerken. Uwe Schönrade berichtete von seiner Erfahrung, dass Patientinnen und Patienten aufgrund ihrer Vorerfahrungen oftmals mit einer nur noch geringen Selbstwirksamkeitserwartung in die Therapie kommen. Ein personenzentrierter und nicht nur auf den Diabetes gerichteter Blick sei entlastend und eröffne mehr Handlungsperspektiven. Dafür müssten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten aber auch verstehen, was Diabetes bedeutet und welche Herausforderungen er für Patientinnen und Patienten mit sich bringt. Der Bedarf an entsprechenden Angeboten sei da und es müsse sich ändern, dass die Profession auf dem Markt nicht sichtbar sei.
Prof. Kulzer führte an, dass bei vielen Betroffenen eine Komorbidität mit F-Diagnosen ihre Prognose deutlich verschlechtern würde. Nachzulesen sei dies u.a. in der evidenzbasierten AWMF-Leitlinie „Psychosoziales und Diabetes“. Es sei daher wichtig, sie gezielt zu behandeln. Psychotherapeutische Angebote in der Klinik würden auch sehr gut genutzt. Für die Anschlussbehandlung gäbe es allerdings zu wenige ambulant tätige Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit speziellen Psychodiabetologie-Kenntnissen. Des Weiteren betonte Prof. Kulzer den Wert einer Weiterbildung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Bereich Diabetes auch im Hinblick auf die Position der Profession im Gesundheitssystem, zum Beispiel hinsichtlich der DRGs (Diagnosis-Related Groups) im stationären Kontext, in den Stellenplänen, in den Disease-Management-Programmen Diabetes mit 4,3 Millionen eingeschriebenen Patienten und Patientinnen und nicht zuletzt auch hinsichtlich von Zukunftschancen für junge Kollegen und Kolleginnen in dem wachsenden Feld der Psychodiabetologie. Aktuell wäre es auch wichtig, dass die Psychotherapeutenkammern bei der Entwicklung einer „Nationalen Diabetesstrategie“ mit einbezogen würden, wie sie im Koalitionsvertrag der Bundesregierung für diese Legislaturperiode festgelegt wurde.
Dr. Paust zeigte den Mangel an diabeteserfahrenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf und verwies darauf, dass Versorgungslösungen dort gut und schnell gefunden würden, wo die Primärversorgenden in Netzwerken eng kooperieren. Seiner Einschätzung nach werde der Bedarf an Psychotherapie bei Diabetes weiter wachsen und werden Betroffene vermehrt entsprechende Angebote einfordern. Prof. Lange ergänzte, dass man sich auch um Strukturen kümmern müsse, in denen die Belastungen der Eltern aufgefangen werden können. Eltern seien prägend für die Entwicklung eines Kindes und es sei wichtig, die Familie in den Blick zu nehmen und auch psychische Probleme wie diabetesspezifische Ängste oder Anpassungsstörungen der Eltern zu beachten. Gerd Höhner hielt fest: „Es gibt einen Bedarf und als Kammervorstand sind wir aufgefordert, etwas zu unternehmen, um diesen Bedarf zu decken. Eine der zentralen Aufgaben ist dabei, den hohen fachlichen Standard, wie er uns aus den Kliniken zurückgemeldet wird, in die ambulante Versorgung zu bringen.“ Dabei sei mitzudenken, dass die Anwendung von Psychotherapie über die Heilbehandlung hinausginge und Strukturen benötigt werden, in denen beispielsweise auch die Eltern von diabeteskranken Kindern eingebunden werden können.“
Abschließend dankte der Kammerpräsident allen Gästen für ihre Motivation, sich engagiert dem Thema Diabetes und Psychotherapie zu widmen. „In drei Wochen werden wir in der Kammerversammlung der PTK NRW über eine Weiterbildung ‚Spezielle Psychotherapie bei Diabetes’ beraten. Ich bin optimistisch, dass wir in der Kammersitzung im Frühjahr 2019 einen Beschluss hierzu fassen können.“