Internetprogramme zur Prävention oder zur Behandlung psychischer Erkrankungen
Das Internet hat sich zu einem weit verbreiteten Medium entwickelt; rund 80 Prozent der Deutschen sind online (D21-Digital-Index/statista.com). Sie nutzen das Internet, um sich zu informieren, für Entertainment, um zu kommunizieren – und sie finden dort mittlerweile auch zahlreiche Angebote, die über psychische Beschwerden und Erkrankungen informieren oder beraten, zur Selbsthilfe anleiten und teilweise sogar damit werben, eine „richtige“ Behandlung anzubieten. Viele dieser Internetprogramme arbeiten mit E-Mails und Video-Telefonaten und können damit auch von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Praxis und Klinik genutzt werden.
Vorteile der Angebote im Internet
„Internetangebote können die psychotherapeutische Behandlung mit dem direkten Kontakt zwischen Patient und Therapeut in der Praxis oder der Klinik nicht ersetzen, aber sie können sie in vielen Fällen ergänzen und die Versorgung psychisch kranker Menschen verbessern“, sagt Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW. Beispielsweise lässt sich bei der Therapie von Ängsten Bild- und Videomaterial aus Internetprogrammen einsetzen, um eine zielgerichtete Konfrontation mit der Angst zu erleichtern. Internetprogramme können Patienten unterstützen, Behandlungstagebücher zu führen oder spezielle Techniken einzuüben. Sie können zudem Behandlungen ermöglichen, die sonst nicht oder nur schwer möglich wären. So können Patienten mit körperlichen Beeinträchtigungen, die nicht regelmäßig eine Praxis aufsuchen können, mit ihrem Psychotherapeuten von zu Hause aus per E-Mail oder Video‐Telefonat kommunizieren. Internetprogramme können zudem außerhalb von Arbeits- und Praxiszeiten flexibel genutzt werden, die Wartezeiten bis zu einer Behandlung überbrücken oder im Anschluss daran helfen, die erreichten Behandlungserfolge zu stabilisieren.
Risiken der Internetprogramme
Allerdings bergen psychotherapeutische Behandlungen psychischer Erkrankungen, bei denen sich Therapeut und Patient nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen, auch Risiken für die Gesundheit des Patienten. Beispielsweise kann die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut das seelische Befinden eines Patienten schlechter einschätzen, da dessen nonverbale Kommunikation, seine körperliche Präsenz, seine Mimik und Gestik nicht wie bei einem direkten Kontakt erlebbar sind. Zudem kann der Patient einen Kontakt per Mausklick abbrechen. „Ein zentrales Thema ist auch der Datenschutz“, betont Gerd Höhner. „Bei der Nutzung von Internetprogrammen sind potenziell auch neue Gefahren des Datenmissbrauchs durch Dritte gegeben. Es ist eine vorrangige Aufgabe, Lösungen zu erarbeiten, wie die Kommunikation bei der Nutzung von Online-Angeboten ausreichend verschlüsselt und sicher gemacht werden kann.“
Diagnose, Aufklärung und Einwilligung im Direktkontakt
Nachweislich wirksame Internetprogramme zur Prävention oder Behandlung psychischer Erkrankungen müssen allen Versicherten auf Kosten der Krankenkassen zur Verfügung gestellt und künftig durch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Fachärztinnen und Fachärzte verordnet werden können, so die Forderung der Profession. Für ihre Nutzung gilt: Sie müssen genauso sorgfältig durchgeführt werden und genauso sicher sein wie Behandlungen in unmittelbarem Kontakt. „Diagnose, Aufklärung und Einwilligung in die Behandlung müssen zudem weiterhin grundsätzlich in einem direkten Kontakt von Angesicht zu Angesicht zwischen Psychotherapeutin oder Psychotherapeut und Patient erfolgen“, erklärt der Kammerpräsident.
Leitfaden für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
Der Leitfaden für Internetprogramme im Praxisalltag der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) soll Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bei ihrer Entscheidung unterstützen, ob und wie sie Internetprogramme zur Prävention und Behandlung psychischer Beschwerden oder Erkrankungen nutzen können. Er beinhaltet Kriterien, um Nutzen und Risiko von Internetprogrammen abzuwägen und entscheiden zu können, ob ihr Einsatz bei einem Patienten grundsätzlich infrage kommt. Weitere Fragen betreffen den Inhalt der Programme, ob es Kontraindikationen gibt, ob sie individualisiert werden können oder der Therapieverlauf regelmäßig erfasst werden kann. Auch welche Funktionen sie in Krisensituationen bieten, ob Datenschutz und Datensicherheit sichergestellt sind, ob sie evidenzbasiert sind und wie viel Zeit bzw. ob sie eine Schulung erfordern, wird beleuchtet. Die Fragen können auch für die Besprechung mit den Patienten genutzt werden. Der Leitfaden beschreibt darüber hinaus, worauf Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bei der Aufklärung und Erstellung von Krisenplänen besonders achten und welche zusätzlichen Vereinbarungen getroffen werden sollten.
Klarheit für Patienten
Patienten, die ein Internetprogramm für psychische Beschwerden nutzen, sollten zudem selbst Klarheit darüber haben, auf was sie sich einlassen. Zentrale Fragen sind: Ist das Programm eine Anleitung zur Selbsthilfe oder bietet es eine Behandlung an? Welche Informationen bekommen Patienten, werden sie bei Fragen unterstützt? Wer ist ihr Gesprächspartner auf der anderen Seite: ein Psychotherapeut, ein wirklicher Mensch – oder ein Computer, der automatisch Antworten erzeugt? Auch ob das Programm auf seine Wirksamkeit und auf mögliche oder gefährliche Nebenwirkungen hin untersucht wurde und ob der Datenschutz gewährleistet ist, muss ersichtlich sein. Grundsätzlich sollten sich Patienten sorgsam informieren, welche Programme empfehlenswert sind und welche nicht. „Idealerweise besprechen sie sich zunächst mit einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten über ihre individuelle Situation und den Unterstützungsbedarf. Therapeuten können dann Präventions- oder Behandlungsprogramme für das jeweilige Störungsbild oder den jeweiligen Patienten empfehlen“, sagt Gerd Höhner. Zusätzlich können Patienten Angebote mithilfe einer Checkliste in dem BPtK-Standpunkt zu Internet in der Psychotherapie überprüfen. Lassen sich die in dieser Liste zusammengefassten Fragen zu einem Programm nicht beantworten, sollte es nicht genutzt werden.