Kammerversammlung am 4. Dezember 2009 in Dortmund
Auf Bundesebene haben wir jetzt die gleiche Regierungskoalition wie in NRW, stellte Monika Konitzer, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer NRW, auf der Kammerversammlung am 4. Dezember 2009 in Dortmund fest. In ihrer gesundheitspolitischen Einleitung berichtete sie darüber, dass auch die schwarz-gelbe Bundesregierung selbstverständlich eine große Reform angekündigt habe, mit der die Einnahmen- wie Ausgabenprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung dauerhaft gelöst werden sollen. Doch niemand wisse, wie schnell diese Reform komme und wie sie aussehen werde. „Zurzeit folgt auf jede Äußerung des Gesundheitsministers oder seiner Staatssekretäre eine Meldung aus Bayern. Man kann fast den Eindruck bekommen, die CSU sei die eigentliche gesundheitspolitische Oppositionspartei“, kommentierte Präsidentin Konitzer die gesundheitspolitischen Zwistigkeiten, die bereits die ersten Wochen der neuen Bundesregierung prägten. Auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann habe bereits vernehmlich seinen Widerstand gegen einige Pläne des FDP-Gesundheitsministers angekündigt.
Koalitionsvertrag ohne Psychotherapeuten
„Psychotherapeuten kommen im Koalitionsvertrag nicht vor“, kritisierte Konitzer. Zwar gelte im SGB V die juristische Regel, dass mit Vertragsärzten auch immer Psychotherapeuten gemeint seien. Aber bei Themen wie z.B. Honorarsteigerung, Gesellschafter in Medizinischen Versorgungszentren, Beteiligung der Selbstverwaltung ständen Psychotherapeuten oft in Konkurrenz zu den ärztlichen Lobbyisten und würden von ihnen nicht ausreichend vertreten. „Wir können uns deshalb nicht darauf verlassen, dass wir von der stärkeren Orientierung der schwarz-gelben Bundesregierung an den Interessen der Ärzte, Apotheker und Zahnärzte automatisch profitieren“, warnte die Präsidentin. Angekündigt sei im Koalitionsvertrag eine Überprüfung der Honorarreform und eine stärkere Regionalisierung der Vergütung im niedergelassenen Bereich. „Die Psychotherapeutenkammer NRW wird genau darauf achten, dass dabei nicht psychotherapeutische Honorare angetastet werden“, hob Konitzer hervor. Außerdem sei das Psychotherapeutengesetz bis heute nicht im Krankenhaus angekommen. Die Gleichstellung von Psychotherapeuten und Ärzten in Leitungsfunktionen sei deshalb einer der Schwerpunkte des NRW-Vorstandes in dieser Wahlperiode der Kammerversammlung.
Unterversorgung psychischer Krankheiten
Die neue Bundesregierung könne sich nicht allein auf die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung konzentrieren. Die gesetzliche Krankenversicherung müsse an das veränderte Krankheitsspektrum angepasst werden. Der demographische Wandel und die hohen psychischen Belastungen einer modernen Dienstleistungsgesellschaft erforderten eine Umgestaltung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen. „Der Anteil psychischer Erkrankungen an Krankheitstagen und Frühverrentungen steigt ständig, wie zuletzt der AOK-Report wieder zeigte“, betonte Konitzer. Im Koalitionsvertrag fehlten aber vollständig die Hinweise darauf, dass diese neuen Herausforderungen von der neuen Bundesregierung überhaupt erkannt würden. Schon jetzt bestehe eine gravierende Unterversorgung psychisch, psychosomatisch und chronisch kranker Menschen. Lange Wartezeiten und damit Rationierung seien für psychisch Kranke Versorgungsalltag. „Psychisch Kranke brauchen endlich eine ausreichende Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung“, forderte die NRW-Präsidentin.
G-BA blockiert bessere Versorgung von Kindern und Jugendlichen
„Die Unterversorgung bei Kindern und Jugendlichen ist nicht akzeptabel, weil die Gesetzeslage längst eine Entlastung ermöglicht!“, stellte die Präsidentin der Psychotherapeutenkammer NRW fest und kritisierte scharf die Blockade der Mindestquote für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Die beschlossene Richtlinie für die Umsetzung des GKV-OrgWG, die nicht der Intention und dem Wortlaut des Gesetzes entspräche, schade vor allem psychisch kranken Kindern und Jugendlichen, die auch 2010 monatelang auf einen Behandlungsplatz warten müssten. Die gravierende Unterversorgung verringere sich kaum. „Die Kammer fürchtet, dass sich 2010 nur 40 bis 50 Psychotherapeuten in NRW zusätzlich niederlassen können, die Kinder und Jugendliche behandeln. Das Gesetz hatte vorgesehen, dass sechs- bis siebenmal so viele neue Praxissitze geschaffen werden“, rechnete Konitzer vor. Die Kammer habe nichts unversucht gelassen, um diese willkürliche Verknappung der Behandlungskapazitäten zu verhindern. „Wir werden die Unterversorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen auch im kommenden NRW-Landtagswahlkampf zum Thema machen.“
Das Medizinisch-Notwendige muss für alle bezahlbar bleiben
Unter der Überschrift „Wahl- und Entscheidungsspielräume“ fände sich im neuen Koalitionsvertrag auch der Hinweis, den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung künftig flexibler zu gestalten. „Verbirgt sich dahinter das Konzept einer Grund- und Zusatzversorgung oder eines Teil- und Vollkaskomodells?“ fragte Konitzer kritisch nach. Dafür spreche, dass die schwarz-gelbe Regierung prüfen wolle, ob sich das Festbetragsmodell aus dem Arzneimittelbereich auf andere Leistungsbereiche übertragen lasse. „Wir kennen das aus der privaten Krankenversicherung“, warnte die Kammerpräsidentin. „20 Stunden Psychotherapie werden bezahlt, den Rest muss der Patient selber tragen. Oder: Psychopharmaka werden bezahlt, Psychotherapie muss selbst getragen werden. Oder, wie früher in der Kostenerstattung: nur ein Teil der Kosten einer Sitzung wird gezahlt, z.B. das 1,0 fache der GOÄ.“ Wer den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung kappe, gefährde die Versorgung der Patienten mit den medizinisch notwendigen Behandlungen. Der medizinische Fortschritt käme nicht mehr allen Versicherten zugute. Sorgen müssten sich Versicherte machen, die kein durchschnittliches Einkommen haben und nicht bei bester Gesundheit sind. Denn die Konsequenzen solcher Modelle lägen auf der Hand: Auf ausreichende Versorgung könnten dann nur noch Patienten hoffen, die sich die Prämien für eine Zusatzversicherung leisten oder die die Kosten selber tragen können, die von den gesetzlichen Krankenversicherungen nicht gedeckt werden. „Patienten darf eine notwendige Behandlung jedoch nicht vorenthalten werden, weil sie über keine finanziellen Mittel verfügen“, forderte die Kammerpräsidentin. Für diese sozialpolitischen Mindeststandards werde sie sich vehement einsetzen.
G-BA überprüft Psychotherapie in der GKV
Hermann Schürmann, Vizepräsident der Psychotherapeutenkammer NRW, begrüßte die Stellungnahme der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) zur Überprüfung der Richtlinienverfahren durch den G-BA. Die BPtK-Stellungnahme sei fundiert und detailliert, zeige Respekt vor den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Verfahren, gehe vom aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse aus und argumentiere auf der Basis methodisch und empirisch gut belegter Daten. Sie betone die Notwendigkeit vielfältiger therapeutischer Angebote, äußere sich nur zu den gestellten Fragen und widerstehe der Versuchung, sich grundsätzlich zu äußern. Entscheidend für die Psychotherapeutenkammer NRW sei, dass alle wissenschaftlich-anerkannten Verfahren für die Versorgung von psychisch Kranken in der gesetzlichen Krankenversicherung verfügbar sein müssen. Die Kammer sehe sich verpflichtet, sich für alle diese Verfahren gleichermaßen einzusetzen und sich „überparteilich“ zu positionieren.
Operationen- und Prozeduren-Schlüssel 2010
Schürmann berichtete über die Entwicklung des neuen Operationen- und Prozeduren-Schlüssels (OPS), der die Grundlage des zukünftigen Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser sei. Das neue Entgeltsystem werde ab 2013 schrittweise eingeführt. Ziel des OPS sei gleiches Geld für gleiche Leistung. Um Psychotherapie im Krankenhaus sichtbarer zu machen, habe die BPtK insbesondere mehr Transparenz im neuen Entgeltsystem gefordert. Dies ließe sich dadurch erreichen, dass Einzelleistungen statt Komplexpauschalen und damit Psychotherapie ausdrücklich erfasst wird. Außerdem fordere die BPtK, dass zwischen unterschiedlichen Behandlungssettings differenziert und erhöhter Aufwand zusätzlich codiert wird. Damit können personenzentrierte komplexe Behandlungskonzepte besser abgebildet werden. Die Forderungen sind im OPS 2010 weitgehend erfüllt:
- nicht jeder Handschlag muss erfasst werden, sondern nur Leistungen, die mindestens 25 Minuten dauern,
- je Patient und Berufsgruppe erfolgt nur eine Codierung pro Woche, in der alle Leistungen summiert sind,
- es wird dokumentiert, was für Leistungen (z.B. Einzel- und Gruppenangebote) und
- wer die Leistungen erbringt (Ärzte, Psychologen, „Spezialtherapeuten“, Pflegekräfte).
Dass im bisherigen OPS bisher noch von „Psychologen“ statt von „Psychotherapeuten“ die Rede ist, sei mehr als ein semantischer Lapsus, der unbedingt korrigiert werden müsste. Außerdem müssten auch die Leistungen von Psychotherapeuten in Ausbildung erfasst werden. Die Leitung der Behandlung, die bisher nur durch Fachärzte erfolgen könne, müsse auch für Psychotherapeuten möglich werden.
Weitere Schwerpunkte der Vorstandsarbeit
Die Psychotherapeutenkammer erledigte darüber hinaus umfangreiche Aufgaben, die im schriftlichen Bericht des Vorstandes nachzulesen sind. Dazu gehören insbesondere:
- eine Stellungnahme zur Kinder- und Jugendpsychiatrie im Landtag NRW,
- Relaunch der Homepage, die am 4. Januar online geschaltet wird.
Haushalt
Die Kammerversammlung entlastete den Vorstand für das Geschäftsjahr 2008 und genehmigte den Haushaltsplan für das Jahr 2010. Schürmann berichtete, dass 2008 ein Überschuss von rund 400.000 Euro erwirtschaftet wurde, für den es einmalige Gründe gebe: Das Aufkommen aus Kammerbeiträgen sei höher als erwartet, Stellenbesetzungen nicht zu realisieren und die BPtK-Umlage niedriger als veranschlagt gewesen. Der Überschuss 2008 wird nach dem Votum der Kammerversammlung für die allgemeine Rücklage sowie zwei zweckgebundene Rücklagen („Telematik und EDV“, „Kammerwahl 2014“) verwendet. Der Haushaltsplan 2010 sieht Erträge und Aufwendungen von 2,6 Millionen Euro vor. Einsparungen erfolgten bei Personalkosten und Beratungskosten. Die Psychotherapeutenkammer NRW hat inzwischen 7.552 Mitglieder. Der durchschnittliche Beitrag beträgt 319 Euro.
Prüfung einkommensabhängiger Kammerbeiträge
Die Kammerversammlung beauftragte den Vorstand, Möglichkeiten für ein einkommensabhängiges Beitragssystem zu prüfen, da ein fester Beitrag unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungskraft Mitglieder mit geringerem Einkommen benachteilige. Der Antrag wurde von den Fraktionen Analytiker, Bündnis KJP und Kooperative Liste eingebracht.
Prüfung des Erwerbs einer Immobilie
Die Kammerversammlung diskutierte, ob der Haushaltsüberschuss 2008 für den Erwerb einer Immobilie für die Geschäftsstelle der PTK NRW verwendet werden soll. Die Fraktionen VPP, QdM und OWL argumentierten, der Immobilien- wie auch der Kapitalmarkt stellten sich so günstig wie nie zuvor dar. Die Kooperative Liste wandte ein, dass über einen Immobilienerwerb nicht aufgrund der vorliegenden Informationen entschieden werden könne. Dem folgte die Kammerversammlung und beschloss, die Möglichkeit eines Immobilienerwerbs vom Finanzausschuss prüfen zu lassen.
Befreiung von der Beitragspflicht
Die Fraktionen Kooperative Liste und Analytiker beantragten, dass Mitglieder, die jedwede Erwerbstätigkeit endgültig aufgegeben haben, sich von der Beitragspflicht befreien lassen können. Dies sollte möglich sein, wenn die Erwerbstätigkeit mit dem 65. Lebensjahr oder aus Krankheitsgründen endgültig aufgegeben worden ist. Das Ende der Erwerbstätigkeit sei gegebenenfalls glaubhaft zu machen. Die Befürworter dieser Regelung argumentierten, dass eine solche Regelung eine unbürokratische Lösung für ältere Mitglieder mit geringen Einkommen ermögliche. Die Kammerversammlung lehnte eine solche Befreiung von der Beitragspflicht jedoch mehrheitlich ab. Die Härtefallregelung, die eine Prüfung der Einkommenssituation vorsieht, sei ausreichend.
Beitragssenkung
Die Fraktionen VPP, QdM, OWL beantragten, den Haushaltsüberschuss 2008 zum Anlaß zu nehmen, die Kammerbeiträge zukünftig um rund 50 Euro zu senken. Hermann Schürmann wies als Vorstandsverantwortlicher erneut darauf hin, dass die Haushaltsüberschüsse durch einmalige Gründe entstanden seien. Die Kammerversammlung lehnte den Antrag auf Beitragssenkung mehrheitlich ab.
Aufwandsentschädigungen für den Vorstand
Die Fraktionen VPP, QdM, OWL beantragten, die Aufwandsentschädigungen für den Vorstand auf die Gesamtaufwandsentschädigungen der Amtsperiode 2005 bis 2009 zu begrenzen. Da der neue Vorstand von fünf auf sieben Mitglieder vergrößert worden ist, hätte dies eine Absenkung der Aufwandsentschädigungen für jedes einzelne Vorstandsmitglied bedeutet. Die Kammerversammlung lehnte den Antrag mehrheitlich ab.
Versorgungsforschung – Referat Dr. Michael Kusch
Geschäftsführer Dr. Michael Kusch stellte die Entwicklung des Instituts für Gesundheitsförderung und der Versorgungsforschung in Bochum von 2006 bis 2010 vor. Das IGV sei am 8. Juni 2006 als gemeinnützige Gesellschaft mbH gegründet worden und habe folgende Zwecke:
- Die Gesellschaft verfolgt ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte, wissenschaftliche Zwecke (§ 2 Gesellschaftervertrag),
- Sie dient der Erforschung, Entwicklung, Evaluation, Anwendung, Implementierung, Unterstützung und Vermittlung von Gesundheitspräventions- und versorgungsstrukturen.
- Schwerpunkte sind die Integration von psychotherapeutischer, psychologischer & psychosozialer Wissenschaft und Praxis und das wissenschaftlich fundierte Management der Patientenversorgung in der Versorgungswirklichkeit.
Gesellschafter des Instituts sind die Carina Stiftung, Herford, und die Psychotherapeutenkammer NRW. Das Institut will die Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis mit Mitteln der lokalen Versorgungsforschung überwinden. Ziel ist es, die bestehende Qualität der psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung darzulegen und die lokale Versorgungspraxis gemeinsam mit den Kollegen zu optimieren.
Das IGV-Bochum engagiert sich dabei für einen multidisziplinären und lösungsorientierten Ansatz der „Handlungsforschung“ nach Kurt Lewin (1946), in dem die aktuelle Versorgungswirklichkeit der Praktiker beschrieben, darauf aufbauend praxisnahe Versorgungskonzepte entwickelt und in einem wissenschaftlich fundierten Versorgungsmanagement zusammengeführt und evaluiert werden. In der „Handlungsforschung“ sind „jene Menschen, welche von den Wissenschaftlern untersucht werden, nicht mehr bloße Informationsquelle des Forschers, sondern Individuen, mit denen sich der Forscher gemeinsam auf den Weg der Erkenntnis zu machen versucht“. Anders als andere Ansätze der Versorgungsforschung trennt die Strategie des IGV-Bochum „die Untersuchung der Versorgungspraxis nicht von den Handlungen, die zu ihrer nachhaltigen Verbesserung erforderlich sind“. Bei diesem Forschungsansatz sind Profession und Professionalität die zwei Seiten der psychotherapeutischen Kompetenz. Unter Professionalität werden das Handeln auf wissenschaftlicher Grundlage, die Kompetenz in der Anwendung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie die Einbettung der psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung in die Versorgungswirklichkeit des deutschen Gesundheitswesens verstanden. Profession meint die persönliche Kompetenz des Psychotherapeuten, Problemlösungen aus der Beziehung zum psychisch belasteten oder gestörten Patienten heraus zu erarbeiten.
Schwerpunkte der Arbeit seien folgende Projekte gewesen:
- IPV-Versorgungsmanagement (TK/ZPT/KKR)
- LARES-Programm-Entwicklung & Erprobung (Kinder psychisch kranker Eltern)
- HWK-Versorgungsstudie (Herford, Köln, Wiesbaden)
- Ökonomische Auswirkungen von Angst & Depression im Krankenhaus.
Eine detaillierte Beschreibung der IGV-Projekte findet sich auf den NRW-Seiten des Psychotherapeutenjournals 4/2009.
Das IGV sei inzwischen auf 16 Mitarbeiter angewachsen. Das Projektvolumen betrage rund neun Millionen Euro.
Gesundheit im interkulturellen Kontext – Referat Dr. Ali Kemal Gün
Dr. Ali Kemal Gün, Integrationsbeauftragter an der Kölner Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Landschaftsverbands Rheinland, beschrieb die Gründe, die dazu führen, dass Migranten häufiger erkranken und seltener auf die Angebote des deutschen Gesundheitssystems zurückgreifen.
Er beschrieb zunächst die Geschichte der Arbeitsmigration in Deutschland, die mit den ersten „Gastarbeitern“ aus Italien, der Türkei und Jugoslawien in den fünfziger und sechziger Jahren begann. Anders als geplant wurden aus den Arbeitskräften, die zunächst über eine begrenzte Aufenthaltserlaubnis verfügten, bald Mitbürger, die dauerhaft in Deutschland gebraucht wurden. Gün berichtete, dass Migranten im Vergleich zu Deutschen größeren Krankheitsrisiken ausgesetzt sind.
Migranten hätten:
- höhere Raten von Totgeburten, Säuglings-, Kleinkinder- und Müttersterblichkeit
- höhere Raten von Infektionskrankheiten, Störungen im Magen-Darm-Bereich
- höhere Rate von Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates
- höhere Raten von Arbeitsunfällen, Unfällen im häuslichen Bereich sowie von Verkehrsunfällen
- frühzeitiger auftretende chronische Krankheiten
- häufigeres Aufsuchen gynäkologischer Notfallambulanzen
- doppelt so häufiges Auftreten von Schmerzsymptomen bei Ausländerinnen als bei deutschen Patientinnen
- stärkere Betroffenheit von Arbeitslosigkeit. Bei ausländischen Arbeitslosen zeigt sich eine weit stärkere Konzentration von gesundheitlichen Belastungen als bei anderen Bevölkerungsgruppen
- ausländische Arbeiter sind bereits im Alter von 40-50 (zehn Jahre früher als ihre deutschen Kollegen) von Invalidität betroffen.
Gün berichtet, dass Migranten bei psychischen Problemen häufig erst sehr spät fachliche Hilfe in Anspruch nehmen, da sie oftmals im Vorfeld versuchen, ihre Probleme im Familien-, Verwandten- oder Bekanntenkreis zu lösen. In der Primärversorgung würden ihre Probleme nicht bzw. sehr spät erkannt, sodass die Erkrankungen oft bereits einen chronischen Verlauf angenommen haben, bevor professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird. Ärzte würden zwar häufig wegen somatoformer Störungen aufgesucht, psychische und psychosomatische Probleme blieben dennoch meist unerkannt oder werden einfach nicht mitgeteilt.
Gün kritisierte, dass zahlreiche Barrieren bestünden, die eine ausreichende und sachgerechte Versorgung von Zuwanderern erschweren:
- mangelnde Informationen über das bestehende Angebots- und Versorgungssystem
- Sprach- und Verständnisbarrieren,
- fehlende mutter- bzw. fremdsprachige Fachkräfte,
- Kulturelle und religiöse Hemmnisse,
- geschlechtspezifische Hemmnisse,
- mangelhafte interkulturelle Kompetenz der Fachkräfte,
- Misstrauen gegenüber den Repräsentanten der dominanten Mehrheitsgesellschaft,
- nicht ganzheitlicher Problemlösungsansatz,
- mangelnde Integration von beiden Seiten,
- zu sehr auf die Mittelschicht orientierter Therapie- und Beratungsansatz,
- Angst vor aufenthaltsrechtlichen bzw. ausländerrechtlichen Folgen oder Konsequenzen (z.B. bei dem Verstoß Drogenabhängiger gegen das Betäubungsmittel-Gesetz).
Zukunft der Psychotherapieausbildung – Referat Dr. Walter Ströhm
Dr. Walter Ströhm gab einen Überblick über die drei Modelle, die die Diskussion über die zukünftige Ausbildung des Psychotherapeuten prägen. Alle drei Modelle hätten gemeinsam, dass sie sich für einen Masterabschluss am Ende der universitären Ausbildung aussprächen.
Historisch begann die Diskussion mit dem Konzept der Direktausbildung, das analog zur ärztlichen Ausbildung eine Approbation zum Psychotherapeuten bereits am Ende der Hochschulausbildung vorschlug. Die postgraduale Ausbildung erfolgte dann als Weiterbildung und führte zum Psychologischen Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Das Forschungsgutachten, das im Frühjahr 2009 dem Bundesgesundheitsministerium vorgelegt wurde, sprach sich jedoch weiterhin für die Approbation nach einer postgradualen Ausbildung aus. Außerdem schlug das Forschungsgutachten eine weitere Differenzierung der zwei Berufe als Erwachsenenpsychotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut vor, die während der Ausbildung über einen so genannten „common trunk“ psychotherapeutische Kompetenzen erwerben.
Das BPtK-Modell
Das aktuelle BPtK-Modell präferiert dagegen einen gemeinsamen Beruf des Psychotherapeuten, da dies Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten den Status des akademischen Heilberufs zukünftig sichere. Ausgangspunkt der BPtK-Überlegungen ist das Problem, dass zukünftig nicht mehr gesichert ist, welche Kompetenzen, die für den Beruf des Psychotherapeuten notwendig sind, derzeit überhaupt noch in einem psychologischen oder pädagogischen Studium erworben werden. Deshalb schlägt die BPtK eine Mindestqualifikation in psychotherapeutischen Kompetenzen von 150 ECTS-Punkten (ECTS = European Credit Transfer System) vor, die sowohl in psychologischen als auch pädagogischen Studiengängen erworben werden können. Während der anschließenden Ausbildung sollen Schwerpunkte für die Behandlung von Erwachsenen oder Kinder und Jugendlichen gesetzt werden können. Außerdem rät die BPtK zu einer eingeschränkten Behandlungserlaubnis während der postgradualen Ausbildung, damit Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) eigenverantwortlich tätig werden können. Diese rechtliche Normierung sei notwendig, um eine ausreichende finanzielle und curriculare Absicherung der PiA zu erreichen.
Die Kammerversammlung diskutierte intensiv und sachlich die offenen Fragen der verschiedenen Modelle. Ein Schwerpunkt bildet weiterhin die Frage, wie eine Abwertung des Berufs des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zu verhindern sei, da viele Landesbehörden als Zugangsqualifikation bereits den Bachelor für ausreichend halten. Allein die Forderung, dass der Gesetzgeber zukünftig einen Masterabschluss für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten vorschreiben solle, hätte wenige Chancen die Bundes- wie die Landespolitik zu überzeugen.
Robin Siegel, Sprecher der PiA-Vertretung NRW, begrüßte ausdrücklich das BPtK-Modell, da es für die Verhandlungen über die Qualität und Finanzierung der praktischen Ausbildung im Krankenhaus ein neues rechtliches Fundament schaffe. Viele Kammerversammlungsmitglieder teilten diese Einschätzung. Kontrovers verlief die Diskussion bei der Frage, wie die psychotherapeutischen Kompetenzen definiert werden sollen, die während des Hochschulstudiums zu erwerben und Voraussetzung dafür sind, zu der postgradualen Ausbildung zugelassen zu werden. Die bisherigen psychologischen Studiengänge seien bei der Antwort auf diese Frage bereits viel weiter als die pädagogischen Studiengänge. Außerdem müsse die Ausbildung Kenntnisse in allen wissenschaftlich anerkannten Verfahren vermitteln. Weitere BPtK-Workshops im Frühjahr 2010 in Berlin sollen hier die Gelegenheit bieten, diese Fragen weiter zu diskutieren.
Mehrere Kammermitglieder machten deutlich, dass für die Durchsetzung eines Masterabschlusses eine Änderung des Psychotherapeutengesetzes notwendig ist. Um dies noch in dieser Legislaturperiode möglich zu machen, seien bereits auf dem 16. Deutschen Psychotherapeutentag am 8. Mai in Berlin erste grundlegende Beschlüsse notwendig. Die Profession müsse mehrheitlich und klar ihre Position formulieren, damit die Politik den Handlungsbedarf überhaupt erkenne.
Weitere Beschlüsse der Kammerversammlung
Ausbildung in Nichtrichtlinienverfahren
Die Kammerversammlung beschloss mehrheitlich, durch geeignete Maßnahmen gegenüber dem zuständigen Ministerium darauf hinzuwirken, dass die Ausbildung in den Psychotherapieverfahren, die neben den Richtlinienverfahren von den Landesbehörden zur vertieften Ausbildung zugelassen sind oder werden, ermöglicht wird.
Gesundheitspolitische Prüfsteine
Die Fraktionen VPP, QdM, OWL beantragten, den Kammervorstand damit zu beauftragen, einen Fragenkatalog zu gesundheitspolitischen Positionen zu erstellen. Die Reaktionen und Antworten der Parteien seien den Kammerangehörigen bekannt zu machen. Die Kammerversammlung lehnte den Antrag mehrheitlich ab.