Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie in Institutionen / Stellenwert der Psychotherapie im Krankenhaus – PTK NRW-Veranstaltung „Angestellte im Fokus“ am 13.02.2019
Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sind in vielen Institutionen tätig und versorgen dort sehr unterschiedliche Zielgruppen. Vor Ort sind sie oft in ein sehr spezifisches Netz von Unterstützungsleistungen eingebunden, arbeiten aus psychotherapeutischer Sicht aber häufig als „Einzelkämpfer“. Auf ihrer Veranstaltung „Angestellte im Fokus“ am 13. Februar 2019 in Düsseldorf beleuchtete die Psychotherapeutenkammer NRW (PTK NRW) die Frage, wie sich Psychotherapie in die vielfältigen sozialen, psychischen und somatischen Anforderungen der verschiedenen Hilfefelder einpassen lässt – mit einem Fokus auf Versorgungsleistungen für Kinder und Jugendliche. In einem zweiten Themenblock erhielten die rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Überblick über das berufspolitische Engagement der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) zur Verbesserung des Stellenwertes der Psychotherapie im Krankenhaus. Mit diesem Angebot knüpfte die PTK NRW an ihre Veranstaltungen „Angestellte im Fokus“ der Vorjahre an. Auch 2019 wurde die Informationsveranstaltung federführend von dem Ausschuss für Psychotherapie in Krankenhaus und Rehabilitation der Kammer ausgerichtet. Die Moderation übernahm Ausschussmitglied Rolf Mertens.
Breites Spektrum an Tätigkeitsfeldern
Einführend informierte Dr. Georg Kremer aus dem Ausschuss für Psychotherapie in Krankenhaus und Rehabilitation, dass in Nordrhein-Westfalen etwa ein Viertel (ca. 3000) der approbierten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Anstellung arbeiten; vorwiegend in Kliniken, aber zu einem bedeutenden Teil auch in institutionellen Kontexten und dort vor allem in Beratungsstellen, Rehabilitationseinrichtungen und Einrichtungen der Jugendhilfe. Insgesamt fächere sich ein breites Spektrum an Betätigungsfeldern auf – und die Aussichten für interessierte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten seien günstig, so Dr. Georg Kremer. ---- Psychotherapie sei mittlerweile in den Leitlinien als anerkannte Behandlungsmethode für viele Krankheitsbilder vorgeschrieben, auch im somatischen Bereich. Entsprechend würden die Kostenträger für die Finanzierung der Leistungen auf die Umsetzung von Psychotherapie im Behandlungskonzept drängen. Nicht zuletzt erhöhe der Ärztemangel die Chancen für den Berufsstand, da in vielen Arbeitsfeldern weniger ärztliche als vielmehr psychotherapeutische Kompetenzen gefragt sind.
Psychotherapie im Kooperationsverbund
Anschließend gab die Psychologische Psychotherapeutin und Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Dr. Ulrike Bowi Einblicke in ihre Arbeit im sozialpädiatrischen Dienst des Kreises Mettmann. Der ambulant aufsuchende Dienst des Kreisgesundheitsamtes gewährt vorsorgende, beratende, intervenierende und nachgehende Hilfen und betreut psychisch kranke Menschen auf der Grundlage multiprofessioneller Arbeit und interdisziplinärer Kooperationen ganzheitlich. Dieses Angebot richtet sich auch an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Allerdings käme etwa die Hälfte der psychisch auffälligen oder kranken jungen Menschen nicht in die Versorgung, berichtete die Referentin. Eine zentrale Aufgabe in ihrem Arbeitsbereich sei daher die Entwicklung von Strukturen, in denen diese Kinder- und Jugendlichen erreicht und über die notwendige Zeitspanne hinweg begleitet werden können. Hilfreiche Grundlagen hierfür habe man durch die Mitarbeit in der NRW - Landesinitiative „Starke Seelen“, den Ausbau vorhandener Kooperationsstrukturen sowie gemeinsame verbindliche Vereinbarungen und fachlich abgestimmte Standards schaffen können.
Aktuell umfasst der Aufgabenbereich der kinder- und jugendpsychiatrischen/psychotherapeutischen Beratungsstelle niederschwellige, flexible und oft aufsuchende Kontakte, eine Erstdiagnostik, begleitende und nachsorgende Hilfen. Anhand von Fallbeispielen zeigte Dr. Ulrike Bowi auf, wie psychisch auffälligen und belasteten Kindern und Jugendlichen mithilfe rechtzeitiger Beratung und professioneller Begleitung geholfen werden konnte; ein Beispiel erläuterte dabei die Tätigkeit der Beratungsstelle als Trauma-Clearingstelle vornehmlich für Minderjährige und junge Erwachsene mit Fluchthintergrund. Grundsätzlich sei festzuhalten, dass die Einbindung in den Kooperationsverbund und ein dichtes regionales Netzwerk wesentlich dazu beitragen würde --, gemeinsam individuelle Lösungswege zu finden und die jungen Menschen gegebenenfalls in spezielle Hilfen z.B. eine ambulante Psychotherapie vermitteln zu können.
Psychotherapie in der Kinderonkologie
In einem zweiten Vortrag beschrieb die Psychologische Psychotherapeutin Christiane Faist-Schweika ihre Arbeit in der Kinderonkologie der Klinik für Kinder und Jugendmedizin im Evangelischen Klinikum Bethel Bielefeld. Es sei ein „außergewöhnliches Arbeitsfeld“, in dem psychotherapeutische Kompetenz erwartet würde, aber Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in der Struktur und im Stellenplan nicht vorgesehen seien. Zwar schreibe die Deutsche Krebsgesellschaft in ihren Kriterien zur Zertifizierung für kinderonkologische Zentren seit 2017 einen psychosozialen Dienst als notwendigen Bestandteil der onkologischen Versorgung vor. Ebenso würde die S3-Leitlinie zur psychosozialen Versorgung in der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie psychotherapeutische Kompetenz als eine Komponente im erforderlichen multidisziplinären Team festhalten. Unter „Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ sei die Profession jedoch nicht gelistet und die Leitung könne von beiden Berufen nur Kinder- und Jugendlichenpsychtherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychtherapeuten übertragen werden.
Im Folgenden schilderte Christiane Faist-Schweika die täglichen Anforderungen ihrer Arbeit in einem Spannungsfeld zwischen Psychologie, psychosozialer Beratung und Psychotherapie. Dabei charakterisierte sie Psychotherapie im onkologischen Akutkrankenhaus im Wesentlichen als Krisenintervention und Notfallbehandlung zur Stabilisierung und zur Sicherstellung der Behandlungsmotivation aller Beteiligten. Hinzu kämen präventive Ansätze, um psychische Störungen zu verhindern, die durch die belastende Situation und die medizinische Behandlung entstehen können. Zusätzlich ginge es darum, die Eltern aufzuklären und zu unterstützen. Insgesamt würden sich durch die unterschiedlichsten Situationen und Verfassungen von Kindern und Eltern verschiedenste Anforderungen im professionellen Handeln ergeben. Als wichtige Grundlage für ihre Arbeit nannte die Referentin regelmäßige interdisziplinäre Fallkonferenzen, Teamabsprachen sowie Übergaben mit Ärztinnen, Ärzten und dem Pflegepersonal.
Engagement der Bundespsychotherapeutenkammer
Im zweiten Themenblock erläuterte Dr. Tina Wessels von der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) das berufspolitische Engagement der BPtK zur Verbesserung des Stellenwerts der Psychotherapie im Krankenhaus. Sie wies darauf hin, dass Psychotherapie bei allen psychischen Erkrankungen als wirksames Behandlungsmittel in den Leitlinien verortet sei. Derzeit befinde sich die Psychiatrie-Personalverordnung, die maßgeblich für die Personalausstattung in Krankenhäusern ist, in der Novellierung. Bisher werde die Psychotherapie noch nicht explizit berücksichtigt. Dies sei nicht hinnehmbar – zumal die stationäre Psychotherapie intensiver und umfangreicher sein müsse als die ambulante Richtlinienpsychotherapie. Psychotherapeutische Leistungen müssten daher angemessen abgebildet werden und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten entsprechend ihres Kompetenzprofils in den Krankenhäusern eingesetzt und in den Organisationsstrukturen verankert werden.
Die BPtK engagiere sich hierfür in der Gesetzgebung auf Bundesebene und in der Ausgestaltung untergesetzlicher Normen und Richtlinien. Dazu gehöre die Teilnahme an dem Vorschlagsverfahren des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) zur Weiterentwicklung des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS). Eingebracht habe die BPtK unter anderem, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten für die Behandlungsleitung vorzusehen und psychotherapeutische Leistungen in Therapieeinheiten besser inhaltlich abzubilden. Auch für eine Änderung der Deutschen Kodierrichtlinien setze sich die BPtK ein, sagte die Referentin. Aktuell würden die Richtlinien die Verantwortung für die Dokumentation von Diagnosen und Prozeduren allein der behandelnden Ärztin/ dem behandelnden Arzt zuweisen. Das erschwere die Übernahme der Behandlungsverantwortung und –leitung durch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Beratend sei die BPtK zudem in der AG Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik (AG PPP) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) aktiv, die mit der Entwicklung einer neuen Richtlinie für die Personalausstattung beauftragt ist. Auch hier ginge es darum, ausreichende personelle Kapazitäten festzulegen und die Profession ihrem Kompetenzprofil entsprechend zu verankern. Dafür sollten die Personalvorgaben beispielsweise die Austauschbarkeit zwischen den Berufsgruppen der Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten und der Fachärztinnen/Fachärzte vorsehen und damit die verantwortliche Fall- und Behandlungsführung durch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ermöglichen. Darüber hinaus gehe sie davon aus, dass auch die Reform der Psychotherapeutenausbildung, nach der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten künftig ähnlich wie Ärztinnen und Ärzte ausgebildet werden sollen, die Stellung der Profession im Krankenhaus verbessere.
Psychotherapie angemessen abbilden und vergüten
In den Fragen und Anmerkungen zu den Vorträgen spiegelte sich die Auffassung, dass der Berufsstand in den Stellenplänen von Kliniken und Institutionen besser verankert werden müsse. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sollten daher in ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern und in berufspolitischen Kontexten die Kompetenzen und Leistungen ihrer Profession selbstbewusst vertreten. Grundsätzlich müsse besser dargestellt werden, wo überall Psychotherapie erfolgen kann, da sie gerade im institutionellen Bereich nicht immer als Heilkunde i. e. rechtlichen Sinne, sondern beispielsweise auch im Zuge präventiver Maßnahmen erforderlich sei. Mehrfach wurde zudem eine angemessene tarifliche Vergütung der Leistungen angestellt arbeitender Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten angemahnt.
„Kompetenzen sichtbar machen“
Gerd Höhner, Präsident der PTK NRW, wies in seinem Schlussstatement darauf hin, dass die Stellung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Versorgungssystem auch vor dem Hintergrund zu beurteilen sei, dass die Profession im Vergleich zu der langen Historie des Arztberufes gerade einmal auf 20 Jahre Psychotherapeutengesetz zurückblicke. „Trotz dieser verhältnismäßig kurzen Zeitspanne haben wir viel erreicht und sind im System angekommen. Während beispielsweise vor einigen Jahren noch der Ruf nach psychotherapeutischer Kompetenz in der Jugendhilfe als eher exotisches Ansinnen bewertet wurde, gestalten vielerorts Kolleginnen und Kollegen diesen Bereich inzwischen maßgeblich mit.“ Ähnlich sei das in der Sozialpsychiatrie. Dennoch sei es weiterhin wichtig, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit ihren Angeboten in den unterschiedlichen Hilfefeldern sichtbar zu machen. Eine weitere Aufgabe sei es, wachsenden Bedarfen wie der Nachfrage nach Psychotherapie bei somatischen Erkrankungen wie Krebs oder Diabetes nachzukommen. Die PTK NRW sei aktuell bereits damit befasst, wie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ihre Qualifikationen hierfür differenzieren können. Optimistisch zeigte sich der Präsident, dass die Psychotherapie in Zukunft angemessen im Krankenhaus verankert werden könne. „Ich gehe davon aus, dass wir mit unseren Leistungen in der stationären Versorgung und in Institutionen stärker Berücksichtigung finden werden. Es zeigt sich, dass das entschei-dende Argument die Qualität unserer Leistungen ist. Sicher müssen wir dafür einiges nachlegen, nicht zuletzt mit Blick auf die Reform der Psychotherapeutenausbildung und die Ausgestaltung der Weiterbildungsgänge. Womöglich geht es sogar schneller voran als gedacht. Insgesamt ist dies für unsere Profession jedoch eine sehr positive Entwicklung.“