Kindheit und Jugend größter Risikofaktor
6. Jahreskongress Psychotherapie in Bochum
Das Konzept des 6. Jahreskongresses Psychotherapie in NRW ist inzwischen immer erfolgreicher. Das Angebot, die neuesten Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung aus erster Hand zu vermitteln, fand in diesem Jahr so großes Interesse, dass der Kongress überbucht war. Insgesamt kamen 361 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu den drei Plenumsvorträgen und über 50 Workshops am 23./24. Oktober in Bochum, um sich über „Psychotherapie bei problematischen Interaktionsmustern“ zu informieren.
Prof. Dr. Jürgen Margraf, neuer Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum, begrüßte die zahlreichen Teilnehmer. Margraf, Träger des internationalen Forschungspreises der Alexander von Humboldt-Stiftung, bringt fünf Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium mit und wird ein Forschungs- und Behandlungszentrum für Psychische Gesundheit an der Ruhr-Universität Bochum aufbauen.
Babys, die oft lange schreien, schlecht schlafen oder nicht richtig essen, entwickeln sich häufiger zu Schulkindern, die hyperaktiv oder aggressiv sind. Das zeigt eine neue Metaanalyse von 22 internationalen Untersuchungen mit insgesamt 15.000 Kindern, die Prof. Dr. Silvia Schneider von der Ruhr-Universität Bochum vorstellte. Solche Babys haben eine 40mal höhere Chance, z.B. ADHS zu entwickeln. Schneider schilderte, dass psychische Störungen in Kindheit und Jugend der größte Risikofaktor für eine seelische Erkrankung im Erwachsenenalter sind. Wer es geschafft habe, ohne psychische Verletzungen das Erwachsenenalter zu erreichen, der hat danach auch nur noch ein sehr geringes Risiko, seelisch zu erkranken. 50 Prozent der psychischen Störungen beginnen im Alter bis zu 14 Jahren, 75 Prozent im Alter bis zu 24 Jahren. Bis zum Erwachsenenalter leiden 30-40 % der Kinder mindestens einmal unter einer psychischen Störung.
Prof. Dr. Martin Bohus vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim stellte fest, dass das größte Risiko an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zu erkranken, im Jugendalter besteht. Für Risikopatienten sei das Alter von 14 bis 17 Jahren die „wirklich gefährliche Zeit in ihrem Leben“. Die lange Zeit zögerliche Diagnose von Borderline-Störungen im Jugendalter sei schädlich, da die Borderline-Patienten letztlich nicht an einer Stigmatisierung, sondern an einer fehlenden Behandlung litten.
Die Forschungsergebnisse zeigten auch, dass viele Borderline-Patienten vielfach traumatisiert seien, insbesondere durch frühen sexuellen Missbrauch. Diese Traumata erforderten eine spezielle PTBS-Behandlung, da die Dialektisch-Behaviorale Therapie dafür alleine nicht ausreiche. Eine reine Stabilisierung der Patienten sei „nicht mehr zeitgemäß“. Bohus erläuterte, dass für die Patienten in seiner Klinik drei Wochen nach der Aufnahme die Auseinandersetzung mit den traumatisierenden Erlebnissen beginne.
Dr. Bernt Schmitz von der AHG Klinik für Psychosomatik in Bad Dürkheim beschrieb das Konzept eines psychoedukativen Programms bei Persönlichkeitsstörungen und unflexiblen Persönlichkeitsstilen. Da Patienten mit Persönlichkeitsstörungen sich als Opfer anderer sähen und wenig Krankheitseinsicht hätten, sei der psychoedukative Ansatz sehr wirksam, da die Störung direkt zum Fokus der Behandlung werde.
Der Ansatz sei jedoch nur dann erfolgreich, wenn die Behandlung durch Ressourcen- und Problemorientierung, sinnstiftende und plausible Erklärungsmodelle und Kompetenzförderung, erlebnisorientierte Methoden sowie Entscheidungsfreiheit des Patienten gekennzeichnet sei. Eine stigmatisierende Sprache und die Defizitorientierung der Diagnostik müssten deshalb im Patientengespräch grundsätzlich vermieden werden. Die Evaluation habe ergeben, dass das entwickelte psychoedukative Programm bei den Patienten eine hohe Akzeptanz habe, in wesentlichen Bereichen die Wirksamkeit der Behandlung steigern konnte.
Termin für den nächsten Kongress ist der 22./23.Oktober 2011