Klare Ablehnung: Vorstand der Psychotherapeutenkammer NRW zum Modell einer „gestuften psychotherapeutischen Versorgung“ im Entwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG)
Am 26.09.2018 wurde der Entwurf eines Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vorgestellt; in der Plenardebatte am selben Tag äußerte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auch zu Fragen der Wartezeiten und der Steuerung von Patientinnen und Patienten in der psychotherapeutischen Versorgung.
Für eine Überraschung sorgte der anscheinend kurzfristig in den Gesetzesentwurf unter der Randnummer 51 b in Artikel 1 (Änderungen im SGB V) aufgenommene Passus einer „gestuften Versorgung“, die in § 92 SGB V neu eingeführt werden solle. Dort heißt es:
„51. § 92 wird wie folgt geändert:
…
b) Dem Absatz 6a wird folgender Satz angefügt:
„Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt in den Richtlinien Regelungen für eine gestufte und gesteuerte Versorgung für die psychotherapeutische Behandlung einschließlich der Anforderungen an die Qualifikation der für die Behandlungssteuerung verantwortlichen Vertragsärzte und psychologischen Psychotherapeuten.“
Dabei wird im Entwurf des Gesetzes und seiner Begründung weder deutlich, was mit einer „gestuften und gesteuerten Versorgung“ konkret gemeint sei, noch, was unter „Anforderungen an die Qualifikation“ der damit betrauten Leistungserbringer gefasst werde.
Die Einführung einer „Behandlungssteuerung“, die den bereits jetzt bestehenden niedrigschwelligen Angeboten in der psychotherapeutischen Versorgung vorgeschaltet sein soll, würde eine weitere Hürde für Menschen mit psychischen Erkrankungen aufbauen. Aus Sicht der Psychotherapeutenkammer NRW ist dies fachlich und sachlich weder geboten, noch ist es den betroffenen Patientinnen und Patienten zuzumuten. Eine solche Steuerung, die im Übrigen in der sonstigen medizinischen Versorgung nicht vorgesehen ist, würde eine beispiellose Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen darstellen.
Der Vorstand der Psychotherapeutenkammer NRW lehnt die in § 92 Abs. 6a SGB V vorgesehenen Regelungen daher ab und fordert die Verantwortlichen in Politik und im Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf, diesen Passus ersatzlos zu streichen.
Erst im Jahr 2017 wurde die psychotherapeutische Versorgung durch den Gesetzgeber neu geordnet: Eine „psychotherapeutische Sprechstunde“ und Akutbehandlung“ erlauben seit dem 01.04.2017 eine niedrigschwellige Versorgung und damit eine Steuerung von Patientinnen und Patientenen. Erste Untersuchungen, z.B. der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) [BPtK-Studie „Wartezeiten 2018“; vgl. News der BPtK vom 11.04.2018], zeigen, dass sich Wartezeiten auf einen psychotherapeutischen Erstkontakt bereits verkürzt haben. Weitere Ergebnisse gilt es zunächst abzuwarten.
Die Psychotherapeutenkammer NRW befürchtet, dass mit dem vorgelegten Vorschlag im Entwurf des TSVG vom eigentlichen Problem der psychotherapeutischen Versorgung abgelenkt werden soll: Es mangelt in vielen Planungsbereichen immer noch an Behandlungskapazitäten durch zugelassene Behandlerinnen und Behandler als Folge einer seit Jahren unzureichenden Bedarfsplanung.
Die Psychotherapeutenkammer NRW fordert deshalb die Verantwortlichen in Politik und im Bundesgesundheitsministerium auf, die anstehende Reform der Bedarfsplanung insbesondere im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung zügig, sachgerecht und versorgungsorientiert voranzutreiben.
Der Vorstand der Psychotherapeutenkammer NRW kritisiert ebenfalls den polarisierenden Vergleich, den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zwischen psychiatrischen Praxen mit z.B. 1.000 Patientinnen und Patienten pro Quartal und psychotherapeutischen Praxen mit einem durch zeitgebundene Leistungen geprägten Leistungsprofil zog: Hier werden auf unzulässige Weise völlig unterschiedliche Versorgungsangebote miteinander verglichen. Dass darüber hinaus eine sorgfältige und fachgerechte Indikationsstellung durch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten infrage gestellt wird, weisen wir als unhaltbare Behauptung und Missachtung einer fachlich hoch stehenden Leistungserbringung mit großer Entschiedenheit zurück.
Wir würden uns daher freuen, mit Herrn Bundesminister Jens Spahn hier in seinem Heimat-Bundesland Nordrhein-Westfalen in das Gespräch über Probleme und Lösungsmöglichkeiten für die psychotherapeutische Versorgung zu kommen.
Weiterführende Downloads/Links:
Gesetzentwurf: Terminservice- und Versorgungsgesetz - TSVG – Download von der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums [externer Link]
Auszüge aus der Plenardebatte des Bundestages zum Gesetzentwurf vom 26.09.2018: dipbt.bundestag.de/doc/btp/19/19051.pdf, Seite 5329 [externer Link]
Resolution der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vom 28.09.2018 [externer Link]