Neue Richtlinie ermöglicht ambulante Komplexversorgung
Für schwer psychisch erkrankte Erwachsene mit einem komplexen psychiatrischen und/ oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf gibt es künftig ein neues Angebot in der gesetzlichen Krankenversicherung: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 2. September 2021 in einer neuen Richtlinie (KSVPsych-RL) die Vorgaben für eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung dieser Patientinnen und Patienten beschlossen. Ziel der neuen Richtlinie ist es, verschiedene Behandlungsmaßnahmen zu koordinieren und den Patientinnen und Patienten Hilfestellungen zu geben, die geplanten Therapiemaßnahmen umzusetzen.
Berufsgruppen- und sektorenübergreifende regionale Netzverbünde
Um das zu erreichen, können künftig Netzwerke gebildet werden. Niedergelassene Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Fachärztinnen und Fachärzte bestimmter Fachrichtungen sollen sich darin zusammenschließen. Nach Vorgabe in der neuen Richtlinie müssen für den Verbund mindestens zehn Akteurinnen und Akteure aus diesen Gesundheitsberufen zusammenarbeiten. Voraussetzung für die Teilnahme an der Versorgung ist, dass Kooperationsverträge mit mindestens einem Krankenhaus mit psychiatrischen oder psychosomatischen Einrichtungen für Erwachsene und mindestens je einer Leistungserbringerin oder einem Leistungserbringer für Ergotherapie, Soziotherapie oder psychiatrischer häuslicher Krankenpflege abgeschlossen wurden. Darüber hinaus sollen insbesondere weitere Unterstützungsangebote wie Eingliederungshilfe, psychosoziale Beratungsstellen und sozialpsychiatrische Dienste in die Versorgung einbezogen werden. An der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Ärztinnen und Ärzte, sozialpsychiatrische Dienste und ermächtige Einrichtungen können an den Verbund überweisen.
Im Netzwerk ist eine Bezugspsychotherapeutin oder ein Bezugspsychotherapeut bzw. eine Bezugsärztin oder ein Bezugsarzt verantwortlich für den auf die Patientin oder den Patienten individuell zugeschnittenen Gesamtbehandlungsplan und die Ansprechperson für die Patientin oder den Patienten. Eine andere mit dem Netzwerk zusammenarbeitende Person, die beispielsweise in Sozio- oder Ergotherapie oder in psychiatrischer häuslicher Krankenpflege ausgebildet sein kann, soll die praktische Koordination übernehmen und die Patientin bzw. den Patienten dabei unterstützen, die einzelnen Behandlungsmaßnahmen wahrzunehmen.
„Die neue Richtlinie schafft eine wichtige Basis für eine regionale Netzwerkarbeit zur Versorgung schwer psychisch kranker Menschen“, begrüßt Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW, den G-BA-Beschluss. „Die Koordination einzelner Behandlungsmaßnahmen und die Begleitung der Patientinnen und Patienten auf ihrem Behandlungspfad sind wichtige Voraussetzungen, um Krisen aufzufangen, Krankenhauseinweisungen zu vermeiden und den Betroffenen nachhaltig zu helfen. Nachbesserungsbedarf sehen wir allerdings unter anderem hinsichtlich der Regelung, dass sich nur Praxen mit einem vollen Versorgungsauftrag an der Netzwerkarbeit beteiligen können. Insbesondere in strukturschwächeren Regionen müssen alle vorhandenen Ressourcen zum Einsatz kommen können.“
Richtlinie für Kinder und Jugendliche in Beratung
Die Erstfassung der KSVPsych-RL tritt nach Prüfung des Bundesministeriums für Gesundheit und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft. Anschließend muss der Bewertungsausschuss die benötigten Vergütungsziffern im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) festlegen. Es ist damit zu rechnen, dass Netzverbünde zum 1. Juli 2022 ihre Tätigkeit aufnehmen können.
Nach Angaben des G-BA soll nach weiteren Beratungen auch ein vergleichbares Versorgungsangebot für Kinder und Jugendliche geschaffen werden.
Der Auftrag an den G-BA, in einer eigenen Richtlinie Regelungen für eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit einem komplexen psychiatrischen und/ oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf zu definieren, erfolgte mit dem Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung und war in § 92 Abs. 6bFünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) verankert worden.