„Psychotherapeuten in Beratungsstellen – Berufsrechtliche Regelung der Falldokumentation, Dauer der Aufbewahrungspflicht“ – Informationsveranstaltung der PTK NRW am 21.6.2016
Welche berufsrechtliche Regelung der Falldokumentation gilt für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die in einer Beratungsstelle arbeiten? Wie lange sind sie verpflichtet, ihre Akten aufzubewahren? Diese Fragen griff eine Informations- und Fortbildungsveranstaltung der Psychotherapeutenkammer NRW (PTK NRW) am 21. Juni in Dortmund auf.
„Es erreichen uns wiederholt Anfragen von verschiedenen Beratungsstellen oder dort beschäftigten Kammermitgliedern zu diesen Themen“, erläuterte Wolfgang Schreck, Beisitzer im Vorstand der PTK NRW. Vielfach ginge es dabei konkret um die Frage, ob die Akten nach Beendigung der Beratung vernichtet werden müssen, wie dies im Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) geregelt sei (§ 84 Abs. 2. S. 2 SGB X) – oder ob die zehnjährige Aufbewahrungspflicht gemäß der Berufsordnung der Psychotherapeutenkammer NRW gelte (§ 9 Abs. 3). „Mit Blick darauf, dass bei dieser und ähnlichen Fragen oft Unsicherheit besteht und ein Spannungsverhältnis zwischen den Regularien gesehen wird, haben wir diese Veranstaltung konzipiert“, erläuterte Wolfgang Schreck. „Wir möchten mit Ihnen die gesetzlich normierten Ansprüche an unsere Profession beleuchten und Ihnen Informationen zu der grundsätzlichen Auffassung der Kammer zu diesem Thema geben.“ Zudem gelte es zu fragen, wie mit diesen Fragen im Hinblick auf sensible oder sich verändernde Aspekte wie Datenschutz und Patientenrechte umzugehen sei. „In den Regularien ist hierzu häufig wenig festgeschrieben“, sagte Wolfgang Schreck. „Unser Ziel ist es, Wege aufzuzeigen und empfundene Widersprüche so aufzulösen, dass in Beratungsstellen tätige Psychotherapeuten wissen, was sie zu tun haben und der Träger beruhigt agieren kann.“
Facettenreiches Themenfeld
Prof. Dr. Martin Stellpflug, Justiziar der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und Referent der Veranstaltung, betonte, dass hinsichtlich Falldokumentation und Aufbewahrungspflicht in einem von sehr unterschiedlichen Facetten geprägten Bereich diskutiert würde. „Wir haben allgemeine Datenschutzvorschriften, die Direktiven des Landes, der Kommune und des einzelnen Betreibers, vor Ort bestehende Dienstanweisungen und berufsrechtlich verbindliche Vorgaben. Alle diese Regularien sind zum Teil ohne Abstimmung untereinander entstanden und konkurrieren miteinander. Aus diesem Grund werden sicherlich heute manche Fragen unbeantwortet bleiben müssen. Aber wir werden auch sehen, dass klare Regularien bestehen, die es wesentlich erleichtern, sich den Antworten zu nähern.“
Viele der Fragen, um deren Zusendung die Kammer die 45 angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Vorfeld gebeten hatte, kreisten um Aspekte wie: „Gibt es eine Demarkationslinie zwischen Beratung und Therapie?“, „Wird jede Tätigkeit von Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in der institutionellen psychologischen Beratung als heilkundliches Handeln gewertet, selbst wenn für die Klienten in den Beratungsstellen keine ICD-Diagnose erhoben wird?“, „Gelten andere Aufbewahrungsfristen, je nachdem ob ich als Psychotherapeutin in der Beratungsstelle eine Beratung oder eine Psychotherapie durchführe?“, „Wenn die Leitung einer Beratungsstelle über die Approbation verfügt – beziehen sich dann die Vorschriften der Berufsordnung auch auf die ihr unterstellten Mitarbeitenden?“
Dokumentations- und Aufbewahrungspflicht
In seiner Präsentation stellte Prof. Dr. Martin Stellpflug heraus, dass approbierte Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nach § 9 der Berufsordnung verpflichtet sind, bei „Behandlung oder Beratung“ eine Patientenakte zu führen und ihre Dokumentationen zehn Jahre nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren, soweit sich nicht aus gesetzlichen Vorschriften eine längere Aufbewahrungsdauer ergibt. Diese Verpflichtung bestehe auch für die Kolleginnen und Kollegen in Beratungsstellen. „Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten unterliegen in allen ihren Tätigkeiten der Berufsordnung der Kammer“, erklärte der Justiziar der BPtK. „Für die Gültigkeit der Berufsordnung spielt es keine Rolle, welche Abmachungen im jeweiligen Dienstvertrag stehen oder wofür jemand eingestellt wurde. Solange er als approbierter Psychotherapeut agiert, gilt für ihn die Berufsordnung seines Berufsstandes. Die Profession der Psychotherapeuten tritt mit dem Selbstverständnis an, ihre Arbeit sorgfältig zu dokumentieren.“
Im Austausch darüber, welche Inhalte wie ausführlich zu dokumentieren seien, erläuterte Prof. Dr. Martin Stellpflug die grundsätzlichen Zwecke einer Dokumentation. „Sie dient der Therapiesicherung, wenn sich eine Behandlung zum Beispiel über einen längeren Zeitraum erstreckt oder ein neuer Behandler bisherige Schritte nachvollziehen muss. Sie dient der Beweissicherung, etwa wenn ein Patient sich im Nachhinein falsch behandelt fühlt und Beschwerde erhebt. Und sie dient drittens der Rechenschaftslegung, beispielsweise bei Honorarfragen.“ Welche Inhalte eine ordnungsgemäße Dokumentation beinhalten müsse, halte die Berufsordnung dem Bürgerlichen Gesetzbuch folgend in § 9 Absatz 2 fest. „Über den Sinn einer solchen guten Dokumentation lässt sich aus meiner Sicht nicht streiten“, so der Referent weiter. „Bei guter Beratung oder Behandlung ermöglicht sie, gegebenenfalls aufzeigen zu können: Hier wurde lege artis gehandelt.“ Wolfgang Schreck fügte an: „Wir müssen unser Handeln so gestalten, dass die Menschen, die wir behandeln, auch ihr Recht ausüben können, sich zu beschweren. Derzeit ist in dieser Hinsicht einiges in Bewegung und die Rechte von Patienten werden massiv gestärkt. Sie dürfen umfassend Einsicht erhalten, was über sie festgehalten wurde. Das ist auch gut so. Aber wir benötigen eine vernünftige Dokumentation, die uns hilft, damit umzugehen.“
Aufbewahrung und Löschung von Daten
Intensiv diskutiert wurde auch über die ordnungsgemäße Aufbewahrung der Daten. Festgehalten wurde, dass die Akten in der Beratungsstelle sicher verwahrt werden müssen und bei fehlender Möglichkeit dazu der Psychotherapeut in der Pflicht sei, für die ordnungsgemäße Aufbewahrung zu sorgen. Prof. Dr. Martin Stellpflug betonte. „Es ist wichtig, dass sich Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten dieser Aufgaben laut Berufsordnung bewusst sind und hierzu bei Optimierungsbedarf das Gespräch mit ihrem Arbeitgeber suchen.“
Deutlich wurde zudem, dass häufig ein unklares Verhältnis von Berufsordnung für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und der aus Sicht der Beratungsstellen ebenfalls einschlägigen Löschungspflicht nach Bundesdatenschutz gesehen wird. Der Justiziar erläuterte, dass die Berufsordnung hierzu in § 9 Absatz 3 mit der Pflicht, die Dokumentationen zehn Jahre nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren, soweit sich nicht aus gesetzlichen Vorschriften eine längere Aufbewahrungsdauer ergibt, eine klare Regelung ausweise. „Daten sind nach BDSG und SGB X nur dann zu löschen, wenn sie nicht mehr erforderlich sind und keine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen vorliegt. Bei entgegenstehenden satzungsgemäßen Aufbewahrungspflichten – wie sie sich aus der Berufsordnung ergeben – müssen sie gesperrt statt gelöscht werden.“ Hier gehe die Berufsordnung der Psychotherapeuten dem SGB X § 84 Absatz 2 und 3 vor. Eine nebenbei getroffene Vereinbarung mit einem Klienten, dass er die Löschung von Daten wünscht, könne dem nicht entgegenstehen, erklärte Prof. Dr. Martin Stellpflug. „Wir haben gesehen, dass die Dokumentation nicht ausschließlich dem Schutz des Patienten dient, sondern beispielsweise auch in Abrechnungsfragen relevant werden kann. Grundsätzlich dient sie immer dazu, den Behandler oder Berater im Zweifelsfalle zu entlasten. Daher ist eine zu frühe Löschung der Daten auch alles andere als ein Vorteil: Man nimmt sich selbst die Möglichkeit, zu zeigen: Hier wurde gute Arbeit geleistet.“
Psychotherapie verantwortungsvoll einsetzen
Nach einer intensiven Diskussion bilanzierte Wolfgang Schreck: „Viele der heute erörterten Aspekte rühren auch an strukturelle Fragen. Als Träger einer Einrichtung kann ich ebenso gut festlegen, dass ich keine Psychotherapie anbiete. Das ist eine konzeptionelle Entscheidung. Wenn wir jedoch sagen, Psychotherapie ist Bestandteil von bestimmten Prozessen, dann kaufen wir sie mit allen damit verbundenen Regularien ein. Ich persönlich sehe in meiner Arbeit in der Jugendhilfe und auch in vielen anderen Bereichen wertvolle Möglichkeiten, Psychotherapie gewinnbringend einsetzen und mit anderen Maßnahmen kombinieren zu können.“
Kammerpräsident Gerd Höhner appellierte abschließend an die Verantwortung aller approbierten Kolleginnen und Kollegen. „Unser Berufsrecht legt uns auch manchmal lästige Pflichten auf. Aber in unserer Tätigkeit als Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten tragen wir eine hohe Verantwortung gegenüber den Menschen, die wir behandeln und beraten, und in unserem Handeln unterliegen wir der Beweis- und Belegpflicht. Darum sind die heute diskutierten Zusammenhänge so wichtig. Wir haben eine facettenreiche Themenwelt erlebt und werden als Kammer weitere Fortbildungsangebote hierzu anbieten.“