Reform der Bedarfsplanung
Nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl am 9. Mai wird die Zeit des gesundheitspolitischen Zögerns der neuen schwarz-gelben Bundesregierung enden. NRW-Kammerpräsidentin Monika Konitzer schilderte deshalb auf der Kammerversammlung am 23. April in Dortmund in ihrem mündlichen Bericht des Vorstands die Diskussion um eine Reform der Bedarfsplanung. Danach plant Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler die ungleiche ärztliche Versorgung von Stadt und Land zu ändern und Praxen in Ballungsräumen nicht mehr neu zu besetzen. Der Praxisverkauf sei allerdings ein wichtiger Teil der Altersversorgung. Rösler hält deshalb Entschädigungen für denkbar.
„Die Psychotherapeuten müssen sich auf schwierige versorgungspolitische Diskussionen gefasst machen“ warnte Konitzer. Die Krankenkassen, wie z.B. die BARMER GEK, diskutierten für Praxen in überversorgten Gebieten Vergütungsabschläge, die in einem Bonustopf für unterversorgte Gebiete fließen sollen. Dies sei für Psychotherapeuten keineswegs akzeptabel, da eine Praxisgründung eine langfristige Entscheidung über eine wirtschaftliche Existenzgründung und den Lebensmittelpunkt sei, die nicht kurzfristig aufgrund eines Vergütungsabschlages revidiert werde. Ein Vergütungsabschlag käme einer Strafsteuer für eine Fehlentwicklung gleich, für die die Politik verantwortlich sei, nicht aber der einzelne Praxisinhaber, der seine Zulassung entsprechend rechtlicher Regelungen erhalten habe.
Nach der bisherigen Bedarfsplanung herrsche in den meisten Planungsbezirken eine Überversorgung mit Psychotherapeuten. Der Verband der Ersatzkassen veröffentlichte bereits eine Statistik, nach der in Deutschland mehr als 7.000 Psychotherapeuten überzählig seien. Diese Zahlen basieren auf einer Bedarfsplanung, die für Psychotherapeuten im Jahr 1999 begann. Die Bedarfsplanung erklärte die damalige Zahl und Verteilung der psychotherapeutischen Praxis schlichtweg zum Versorgungsbedarf - aus einem Ist-Zustand wurde so ein Versorgungs-Soll. „Die damalige Versorgung mit Psychotherapeuten, noch dazu in der Übergangszeit des Psychotherapeutengesetzes, hat nichts mit dem tatsächlichen Versorgungsbedarfs zu tun“, kritisierte Monika Konitzer. Die monatelangen Wartezeiten in psychotherapeutischen Praxen belegten eine massive Unterversorgung von psychisch kranken Menschen. Nach Auswertungen der Bundespsychotherapeutenkammer stehen für rund fünf Millionen psychisch Kranke nur 1,5 Millionen Behandlungsplätze zur Verfügung. „Eine Reform der Bedarfsplanung muss vor allem diese psychotherapeutische Unterversorgung beseitigen“, forderte die NRW-Kammerpräsidentin.
Sachlich nicht begründbar sei auch die enorme Spanne zwischen dem angeblichen Behandlungsbedarf auf dem Land und in der Stadt. Nach den Verhältniszahlen, die auf den Zulassungen am 31. August 1999 beruhen, reicht in ländlichen Regionen ein Psychotherapeut für 23.106 Einwohner aus, während in Kernstädten ein Psychotherapeut für 2.577 Einwohner notwendig ist. „Niemand kann erklären, warum Menschen in der Stadt neunmal häufiger psychisch krank werden sollen als auf dem Land“, stellt Monika Konitzer fest und forderte: „Diese groteske Spannbreite der Verhältniszahlen muss sich unbedingt verringern.“ An der ungleichen Verteilung der unterschiedlichen Planungsbezirke liege es auch, dass sich die Versorgung zwischen Nordrhein und Westfalen-Lippe auseinander entwickele. Weil es in Westfalen-Lippe kaum Kernstädte gebe, ständen dort auch weit weniger Psychotherapeuten je Einwohner zur Verfügung. Psychisch kranke Menschen würden deshalb in Westfalen-Lippe durch die bisherige Bedarfsplanung benachteiligt.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) arbeite seit Jahren an dem Konzept einer kleinräumigen Bedarfsplanung. Zentrales Planungskriterium ist dabei die durchschnittliche Zeit, die ein Patient benötigt, um eine ärztliche oder psychotherapeutische Praxis zu erreichen. Zukünftig stelle sich aber außerdem die Frage, ob die Bedarfsplanung nicht sektorübergreifend und stärker auf die regionale Angebotsstruktur ausgerichtet werden müsse.
Außerdem würde darüber nachgedacht, wer in Zukunft die Versorgung steuere. Bisher seien die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen für die ambulante Versorgung zuständig und die Länder für die stationäre Versorgung. In Zukunft beabsichtigten aber die Länder in der Bedarfsplanung mitzuentscheiden. Die Gesundheitsministerkonferenz werde deshalb einen „Landesausschuss“ vorschlagen, der zukünftig die notwendige Zahl an Ärzten und Psychotherapeuten festlege. Der Landesausschuss solle zu je einem Drittel von Ärzten, Krankenkassen und Ländern besetzt werden. Die KBV diskutiere wiederum einen „Regionalverbund“, der durch Landesministerien, Kassenärztlichen Vereinigungen, Landeskrankenhausgesellschaften und Landesärztekammern besetzt werden soll. An die Landespsychotherapeutenkammern hätte die KBV dabei wieder einmal nicht gedacht. Krankenkassen und Patientenvertreter hätten im Regionalverbund Beratungsrechte.
Schließlich gebe es den Vorschlag, in die Bedarfsplanung einen Demografiefaktor einzubauen. Dieser Faktor geht davon aus, dass über 60jährige einen speziellen Versorgungsbedarf haben, der auch spezifische ärztliche Angebote erfordere. Bei diesem Faktor müssten sich Psychotherapeuten fragen, wie viele über 60jährige sie in ihrer Praxis in Behandlung hätten.
„Die Psychotherapeuten müssen sich bei einer Reform der Bedarfsplanung auf heftige gesundheitspolitische Auseinandersetzungen einstellen“, erklärte die Präsidentin der nordrhein-westfälischen Psychotherapeuten. „In den nächsten Monaten müssen wir erhebliche Überzeugungsarbeit leisten, damit die Bedürfnisse psychisch kranker Menschen in den Auseinandersetzungen der großen Lobbyverbände des Gesundheitswesens überhaupt beachtet werden.“