Regionalversammlung für Kammermitglieder aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf am 15. September 2021
Am 15. September 2021 fand die Regionalversammlung der Psychotherapeutenkammer NRW für Kammerangehörige im Regierungsbezirk Düsseldorf aufgrund der weiterhin bestehenden Pandemiesituation als erste Veranstaltung in dieser Reihe online statt. Auf der Agenda standen aktuelle gesundheitspolitische Themen, berufspolitische Perspektiven und die Aktivitäten der Kammer auf Landes- und auf Bundesebene. Rund 70 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten waren der Einladung des Kammervorstandes gefolgt und hatten sich der Veranstaltung zugeschaltet.
Defizite der psychotherapeutischen Versorgungsplanung in NRW
Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW, begrüßte alle Teilnehmenden und gab einen Überblick über die Themenschwerpunkte auf der Tagesordnung. In seinem Vortrag „Defizite der psychotherapeutischen Versorgungsplanung in Nordrhein-Westfalen“ erläuterte er die historischen Fehler der Bedarfsplanung, aus denen die ungenügende psychotherapeutische Versorgungssituation in vielen Regionen bundesweit resultiere. „Indem man 1999 den Ist-Zustand zum ‚Soll‘ ernannt hat, sind wir bereits mit einem Minus in der Versorgung gestartet“, kritisierte Gerd Höhner. „Die bisherigen Bestrebungen der Politik, den Mangel auszugleichen, sind unzureichend geblieben.“ Änderungen der Psychotherapie-Richtlinie und der Psychotherapie-Vereinbarung hätten zwar eine deutliche Ausweitung der psychotherapeutischen Leistungen ermöglicht, unter anderem durch psychotherapeutische Sprechstunden oder Akutbehandlungen. Auch die angesichts der pandemiebedingten Kontakteinschränkungen beschlossenen Angebote zur psychotherapeutischen Behandlung über Telefon und Video seien intensiv genutzt worden. „Die hohe Nachfrage nach diesen Leistungen weist auf einen enormen Bedarf hin, den Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Rahmen ihres Versorgungsauftrages mit großem Engagement erfüllen“, hielt der Kammerpräsident fest. „Dennoch bestehen weiterhin weit verbreitet gravierende Defizite in Bezug auf Richtlinientherapie.“
„Wir müssen auf den steigenden Bedarf reagieren“
Noch dazu hätten sich in Zeiten der Pandemie die Anfragen nach psychotherapeutischer Unterstützung deutlich erhöht und man müsse davon ausgehen, dass der Bedarf weiter ansteigen werde. Vor diesem Hintergrund sei es der Psychotherapeutenkammer NRW auch weiterhin ein großes Anliegen, dass die ambulante Psychotherapie durch Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V ausgebaut werde. „Privatpraxen sollten Menschen mit psychischen Erkrankungen ohne bürokratische Hürden auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung versorgen können“, forderte Gerd Höhner. „Allerdings behebt das nicht den grundsätzlichen Mangel. Wir brauchen auch mehr Kassensitze und die Möglichkeit, durch Ermächtigungen und Anstellungen kurzfristig zusätzliche psychotherapeutische Behandlungskapazitäten schaffen zu können.“ Besonderes Augenmerk müsse man auf die Versorgung von Kindern und Jugendlichen legen. „Als Kammer machen wir uns unter anderem in Bezug auf die Jugendhilfe dafür stark, die Qualität der Ausbildung der Mitarbeitenden in diesem Bereich zu verbessern.“ Abschließend wies der Kammerpräsident darauf hin, dass auch in der Bedarfsplanung der Krankenhäuser das Angebot an psychotherapeutischen Leistungen ausgeweitet werden müsse.
Verabschiedung der Muster-Weiterbildungsordnung
Barbara Lubisch, Vorstandsmitglied der Psychotherapeutenkammer NRW, blickte in ihrem Vortrag „Die Verabschiedung der Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO) für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und ihre Umsetzung in Nordrhein-Westfalen“ auf die Historie, den aktuellen Stand und die noch zu bewältigenden Herausforderungen im Zusammenhang mit der Reform der Ausbildung und Weiterbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Insbesondere die Regelung der Zugangsvoraussetzungen und angemessene Bezahlung während der Weiterbildung seien zentrale Aspekte der Erneuerung gewesen. In der neuen Aus- und Weiterbildung folge auf ein Approbationsstudium eine Weiterbildung, in der eine Spezialisierung zu Fachpsychotherapeutinnen und Fachpsychotherapeuten für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen, von Erwachsenen und auf Neuropsychologische Psychotherapie stattfinde. Insgesamt sei der Berufsstand mit der Reform breiter aufgestellt und trage dem wachsenden Bedarf an Qualifizierung in verschiedenen Versorgungsbereichen Rechnung. Auf dem Deutschen Psychotherapeutentag im April 2021 waren der Paragrafenteil und der Abschnitt „Gebiete“ der Muster-Weiterbildungsordnung mit großer Mehrheit verabschiedet worden, auf der Versammlung im November 2021 soll über die Abschnitte „Verfahren“ und „Bereiche“ abgestimmt werden. „Insgesamt basiert der Reformprozess auf einem intensiven Austausch aller Beteiligten und einer komplexen Gremienarbeit“, bilanzierte Barbara Lubisch.
„Der Aufbau der Weiterbildung ist eine anspruchsvolle Aufgabe“
Zentral sei nun, die operative Umsetzung der Weiterbildung in der Kammer und ihre Ausgestaltung gemeinsam mit der Politik, potentiellen Weiterbildungsstätten und anderen Interessensvertretungen weiter voranzutreiben. Insbesondere sei die Finanzierung der ambulanten Weiterbildung zu klären. Eine Förderung werde hierbei unumgänglich sein. In Nordrhein-Westfalen strebe man eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Muster-Weiterbildungsordnung an. Ziel sei, im Herbst 2022 die ersten Weiterbildungsstätten und -befugten zu akkreditieren. Im Folgenden beleuchtete Barbara Lubisch die Herausforderungen beim Aufbau der stationären, ambulanten und institutionellen Weiterbildungsphase. „Die neue Richtlinie für Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-Richtlinie) sieht weiterhin wenig Psychotherapie in Kliniken vor; hier sind Nachbesserungen wichtig, damit es eine ausreichende Zahl von Weiterbildungsstellen geben kann, die eine angemessene psychotherapeutische Versorgung im stationären Bereich ermöglichen“, betonte sie. Den strukturellen Aufbau der ambulanten Weiterbildungsphase beschrieb sie als anspruchsvoll. „Unter anderem müssen vollwertige Arbeitsplätze geschaffen, die notwendigen Anteile an Theorie, Supervision und Selbsterfahrung vorgehalten und gegebenenfalls Kooperationen mit anderen Weiterbildungsstätten begründet werden.“ Ebenso gelte es, die Weiterbildung im institutionellen Bereich mit Einrichtungen der Behindertenhilfe, der Suchthilfe, der Jugendhilfe und den sozialpsychiatrischen Diensten zu gestalten. „Der Psychotherapeutenkammer NRW liegen diese Aufgaben sehr am Herzen und wir werden uns für den Aufbau der Weiterbildung in den verschiedenen Bereichen intensiv engagieren.“ Zum Abschluss ihres Vortrages regte Barbara Lubisch an, dass die Teilnehmenden darüber nachdenken, sich für die nachfolgende Generation der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu engagieren und als Weiterbildungsbefugte oder Weiterbildungsbefugter tätig zu werden.
Auswirkungen der Digitalisierung auf die psychotherapeutische Praxis
Bernhard Moors aus dem Vorstand der Psychotherapeutenkammer NRW skizzierte Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen und ihre Auswirkungen auf die psychotherapeutische Praxis. Für die Kammer würden sich drei große Themenkomplexe ergeben: erstens die Telematikinfrastruktur mit Anwendungen wie dem elektronischen Heilberufsausweis, der elektronischen Patientenakte und KIM, dem Kommunikationsdienst im Medizinwesen; zweitens die Nutzung des Internets in der Psychotherapie; drittens als Querschnittsthema der Datenschutz und die Datensicherheit. Die Anbindung an die Telematikinfrastruktur sei für die Praxen rechtlich verpflichtend und für einige Anwendungen sollte die Infrastruktur bereits implementiert sein, führte er aus. Angesichts von Problemen bei der Technik und der Ausgabe käme es jedoch zu erheblichen Verzögerungen. Die Einführung von TI-Anwendungen wäre für die Praxen zudem mit Kosten verbunden. Diese würden auf Antrag von den Krankenkassen teilweise refinanziert. Die Anträge können über die jeweils zuständige Kassenärztliche Vereinigung in NRW eingereicht werden. Ausführlich ging Bernhard Moors auf die elektronische Patientenakte ein. Patientinnen und Patienten stünde es frei, sie zu nutzen, doch in ihrer derzeitigen Version könne sie nur nach dem „Alles-oder-Nichts“-Prinzip geführt werden. Der Bundes-Datenschutzbeauftragte habe dies bereits angemahnt. Ein differenziertes Berechtigungsmanagement solle ab dem 1. Januar 2022 möglich werden! Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten rief er dazu auf, ihre Patientinnen und Patienten im Sinne des Datenschutzes ausführlich zur Nutzung der elektronischen Patientenakte zu beraten.
„Der Berufsstand muss Stellung beziehen und mitgestalten“
Hinsichtlich der Nutzung des Internets in der Psychotherapie stellte Bernhard Moors Studien zur Wirksamkeit der Blended Therapy vor. Diese Therapieform sieht eine Kombination von face to face-Psychotherapie und Internet- bzw. mobil basierten Interventionen vor. Ergänzend ging er auf Untersuchungen zum Angebot und der Umsetzbarkeit von Videobehandlungen in der Psychotherapie ein. Mit Blick auf Digitale Gesundheitsanwendungen, kurz DiGa, hob er die wesentlichen Kritikpunkte der Kammer hervor. Dazu gehöre, dass Krankenkassen ohne Beteiligung der Profession DiGa ausgeben könnten. Auch das Anerkennungsverfahren der Anwendungen sei kritisch zu sehen. Zudem seien DiGa mit erheblichen Kosten verbunden. Insgesamt sei es aus Sicht des Vorstandes unerlässlich, sich intensiv mit diesem Themenfeld auseinanderzusetzen. Abschließend kam das Vorstandsmitglied auf die für die Profession zentralen Aspekte im „Digitale Versorgung und Pflege-Modernisierungs-Gesetz“ (DVPMG) zu sprechen. „Als Berufsstand sind wir gefordert, zu den mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen verbundenen Themen Stellung zu beziehen und die Entwicklung kritisch und aktiv zu begleiten“, stellte Bernhard Moors heraus. „Die Kammer wird Sie hierzu weiterhin informieren und Fortbildungen anbieten.“
Im Anschluss an die Vorträge griffen Kammermitglieder in Fragen und Anmerkungen einzelne Aspekte aus den Referaten auf. Gerd Höhner dankte Barbara Lubisch und Bernhard Moors für ihre Vorträge und hielt fest, dass digitale Formate zwar in der Pandemiezeit die weitere Umsetzung von Veranstaltungen ermöglichen würden, der Vorstand sich jedoch auf einen hoffentlich bald wieder möglichen persönlichen Kontakt und Austausch mit den Kammermitgliedern freuen würde.