Rückblick auf den Großen Ratschlag „Qualitätssicherung in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung“ am 30. März 2022
Der Vorstand der Psychotherapeutenkammer NRW hatte die Mitglieder der Kammerversammlung für den 30. März 2022 zu einem digitalen Großen Ratschlag „Qualitätssicherung in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung“ eingeladen. Vor dem Hintergrund der Aktivitäten des Gesetzgebers in diesem Bereich hatte die Kammerversammlung im November 2021 mit großer Mehrheit beschlossen, das komplexe Thema in einer gesonderten Informations- und Diskussionsveranstaltung ausführlicher zu beraten. Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW, begrüßte die Kammerversammlungsmitglieder, Referentinnen und Referenten. Mit rund 80 Teilnehmenden sei die Resonanz auf die Veranstaltung erfreulich groß.
Das ungelöste Problem des „Unmessbaren“
Mit Blick auf die Qualitätssicherung sehe die Profession Probleme darin, wesentliche Anteile der Psychotherapie wie vom Gesetzgeber gefordert objektivierbar zu erfassen, betonte Gerd Höhner. Mit den hierfür entwickelten Methoden ließen sich wesentliche Attribute zumindest derzeit noch nicht messen. Verdichten würde sich dieses „Unmessbare“ im Begriff der therapeutischen Beziehung, verdeutlichen ließe sich die Schwierigkeit am Beispiel der vom Gesetzgeber angestrebten „Patientenbefragung“: Negative Rückmeldungen von Patientinnen und Patienten würden nicht zwingend bedeuten, dass eine Behandlung nicht gut verläuft. Im Gegenteil würden kritische Rückmeldungen im weiteren Prozess häufig einen wichtigen qualitativen Sprung ausmachen, der die Behandlung auf ein anderes Niveau der Interaktion und Auseinandersetzung hebe. Patientinnen und Patienten zu befragen, sei richtig. Ihre Rückmeldungen eins zu eins als Bestätigung für gute oder mangelnde Qualität zu interpretieren, sei aber im Grunde nicht statthaft.
Man habe der Profession angesichts ihrer Kritik an dem geplanten Qualitätssicherungsverfahren mitunter unterstellt, sie wolle sich mit der Qualität ihrer Leistungen nicht auseinandersetzen, hielt Gerd Höhner fest. Dies sei jedoch mitnichten der Fall. Vielmehr wolle man vermeiden, dass Qualitätssicherungsmaßnahmen das psychotherapeutische Geschehen nur zu einem Teil abbilden. Der Große Ratschlag, für den man hochkarätige Referentinnen und Referenten gewonnen habe, solle den Raum öffnen, die vielfältigen Facetten des Themas gemeinsam zu erörtern. Ziel sei, in eine konstruktive Auseinandersetzung zu gehen, um Maßnahmen zur Qualitätssicherung und -entwicklung voranzubringen.
Bernhard Moors, Vorstandsmitglied der Psychotherapeutenkammer NRW, moderierte die Veranstaltung. In seiner Begrüßung hielt er fest, dass das komplexe und anspruchsvolle Thema Qualitätssicherung den Berufsstand schon lange beschäftige, fachintern und in der Auseinandersetzung mit von außen an die Profession herangetragenen Fragestellungen. Auch die von der Kammer entwickelten Empfehlungen zur Dokumentation psychotherapeutischer Behandlungen, die auf Bundesebene viel Beachtung gefunden hätten, seien im Kontext der Qualitätssicherung zu betrachten.
Qualitätssicherung im Spannungsfeld von Praxis und Forschung
Prof. Dr. Johannes Ehrenthal vom Lehrstuhl für Klinische Psychologie und empirisch-quantitative Tiefenpsychologie der Universität zu Köln, befasste sich in seinem Vortrag „Never change a winning team? Qualitätssicherung im Spannungsfeld zwischen psychotherapeutischer Praxis und praxisorientierter Forschung“ mit Wirkfaktoren in der Psychotherapie und daraus abzuleitenden Folgerungen für die Qualitätssicherung. Die Wirksamkeit von Psychotherapie sei unstrittig und wissenschaftlich abgebildet. Was in Psychotherapien wirkt, ließe sich jedoch angesichts einer hohen Heterogenität und der Vielzahl von miteinander verschränkten psychologischen Einflussfaktoren schwer erfassen. Die Betrachtung der zahlreichen Variablen bei Patientinnen und Patienten sowie bei Behandelnden verdeutliche die Komplexität. Hinzu käme die Besonderheit der therapeutischen Beziehung. Sie gelte als der stabilste bekannte Wirkfaktor in der Psychotherapie, unterliege allerdings ebenfalls verschiedenen Einflüssen.
Alles dies erschwere es, aus der Forschung eindeutige Aspekte abzuleiten, anhand derer Anforderungen an die Versorgung definiert und Qualitätsindikatoren entwickelt werden könnten. Auf dem Weg zu Lösungen sei die Zusammenarbeit von Forschenden und klinisch Tätigen unerlässlich, betonte der Referent. Eine Kernfrage sei, ob neue Qualitätssicherungsverfahren besser seien als bestehende, etwa das Gutachterverfahren, Qualitätszirkel und Intervisionsgruppen. Es gäbe zudem gute Gründe dafür, die Inhalte einer Psychotherapie in der therapeutischen Dyade zu halten. Für zukünftige Qualitätssicherungsverfahren sei gegebenenfalls klar zu definieren, welche Kompetenzen von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gefördert werden sollen, wie dies gelingt und woran sich das ablesen lässt. Fachleute und Betroffene müssten hierbei einbezogen werden. Zu klären sei, wie Supervision- und Gutachtergruppen oder auch Aktivitäten wie Practice Research Networks einbezogen werden könnten. Weitere Fragestellungen seien die Auswirkungen eines Benchmarkings auf die Versorgung, Aspekte im Zusammenhang mit Technik und Datensicherheit sowie Aufwand und Vergütung für die Praxen. Abschließend betonte Prof. Dr. Johannes Ehrenthal, Entscheidungen über die Zukunft der Psychotherapie müssten in der Hand von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bleiben, die im Austausch mit anderen Akteurinnen und Akteuren die Qualitätssicherung weiterentwickeln.
Gesetzliche Vorgaben und Aspekte der Umsetzung
Dr. Nicole Helmbold, Abteilungsleiterin für sektorenübergreifende Qualitätssicherung und Transparenz bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), informierte in ihrem Referat „QS ‚ambulante Psychotherapie‘ – datengestützte QS des G-BA“ zu den gesetzlichen Vorgaben, der Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), dem Sachstand des Verfahrens und der Perspektive der KBV. Die Abschlussberichte des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) zur fallbezogenen Dokumentation und zur Patientenbefragung als Instrumente der datengestützten Qualitätssicherung seien fertiggestellt; der Bericht zur Patientenbefragung werde derzeit noch intern diskutiert. Durch weitere Vorgaben des Gesetzgebers seien in beiden Bereichen Nachbeauftragungen notwendig geworden. Der Bericht zum Bereich Dokumentation werde für Oktober 2022 erwartet, die Nachbeauftragung zur Patientenbefragung stehe noch aus. Mit Blick auf weitere notwendige Arbeitsschritte sei davon auszugehen, dass ein Qualitätssicherungsverfahren frühestens 2025 starten könne. Vor einer bundesweiten Ausrollung halte die KBV eine umfassende Erprobung beispielsweise als Modellprojekt für unbedingt erforderlich. In Studien sei bislang kein Qualitätsdefizit in der Psychotherapie nachgewiesen, betonte die Referentin. Es sei daher in der Praxis zu prüfen, ob mit den angestrebten Indikatoren tatsächlich Qualitätsdefizite abgebildet werden können, Indikatoren modifiziert oder in der Menge reduziert werden müssten. Ebenso könnten Referenzbereiche angepasst werden. Letztlich würden sich aus den Resultaten des Modellprojekts auch Hinweise auf die grundsätzliche Eignung des geplanten Qualitätssicherungsverfahrens ergeben.
Werde das Verfahren weiter umgesetzt, würde dies unter dem Dach der Richtlinie zur datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung (DeQS-RL) stattfinden. Ausführlich beschrieb Dr. Nicole Helmbold den Prozess der geplanten Datenübermittlung und -bewertung. Auffälligkeiten der Daten aus den Praxen würden von der Bundesauswertungsstelle an die Landesarbeitsgemeinschaft übermittelt. Deren Fachkommission bewerte die Daten und bespreche sie mit den betreffenden Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten. Die Kassenärztliche Vereinigung stehe den Praxen in diesem Geschehen unterstützend zur Seite. Abschließend stellte die Referentin Mitgestaltungsmöglichkeiten der Profession dar. So könne der Berufsstand Kolleginnen und Kollegen für die Fachkommission vorschlagen. Eine weitere Idee sei, als Profession über eine eigene Software nachzudenken. Dies könne ermöglichen, die im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätssicherung erhobenen Daten auch für das interne Qualitätsmanagement zu nutzen.
Indikatoren des IQTIG zur Qualitätssicherung
Prof. Dr. Jürgen Pauletzki und Fanny Schoeler-Rädke vom Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) stellten die Vorschläge des Instituts für ein Qualitätssicherungsverfahren ambulante Psychotherapie vor. Damit wurde der jüngst veröffentlichte Bericht erstmals einer Institution im Gesundheitswesen präsentiert. Prof. Dr. Jürgen Pauletzki, Leiter der Abteilung „Verfahrensentwicklung“ des IQTIG, erläuterte einführend, dass angesichts der vom Gesetzgeber geschaffenen Vorgaben bis Ende 2022 durch den G-BA ein Beschluss zur einrichtungsvergleichenden Messung und Darstellung der Qualität in der psychotherapeutischen Versorgung zu fassen ist. Der IQTIG-Bericht beinhalte hierzu Vorschläge. Die darin formulierten Qualitätsanforderungen seien als „Leitplanken“ für professionelles Handeln zu lesen und idealerweise vor Einführung eines bundesweiten Regelbetriebes zu erproben.
Fanny Schoeler-Rädke aus der Abteilung „Verfahrensentwicklung“ betonte, dass die von ihr vorgestellten Indikatoren zur datengestützten Qualitätssicherung allein auf den Bereich der Leistungserbringerdokumentation bezogen seien, eine Patientenbefragung wurde entsprechend der G-BA-Beauftragung zusätzlich entwickelt. Sie erläuterte Einzelheiten der Beauftragung, Herausforderungen an ein Qualitätssicherungsverfahren ambulante Psychotherapie und Besonderheiten bei der Entwicklung von Qualitätsindikatoren. Angesichts der sich daraus ergebenden Aufgabenstellung habe man sich entschieden, allein die Prozessqualität zu betrachten. Eines der zentralen Merkmale des vom IQTIG vorgeschlagenen Verfahrens sei, dass durch die QS-Dokumentation bei den Leistungserbringern keine konkreten Outcomes der Behandlung erhoben werden. Im Ergebnis habe man neun Indikatoren entwickelt, die den gesamten Behandlungsverlauf abdecken sollen. Darin sei erstmals ein Qualitätsindikator zur Kooperation und Koordination enthalten. Da die individuelle Gestaltung des therapeutischen Geschehens eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale sei, könnten die Prozesse grundsätzlich nur patientenindividuell gestaltet werden. Zu den Herausforderungen in der Umsetzung gehöre unter anderem eine Softwarelösung, die eine praktikable fallbezogene Datenerhebung nach Behandlungsabschluss ermögliche. Das Auswertungskonzept der gesetzlichen Qualitätssicherung sieht nach einer ersten Stufe einer datengestützten, statistischen Auffälligkeit von Leistungserbringern einen strukturierten Dialog zwischen diesen und Fachgremien auf Landesebene vor. Diese Fachgremien entscheiden dann über ggf. vorliegende qualitative Auffälligkeiten und sprechen qualitätsfördernde Maßnahmen mit den betroffenen Leistungserbringern ab. Insgesamt sei man sich der Schwierigkeiten eines Qualitätssicherungsverfahrens für diesen Versorgungsbereich bewusst. Viele Probleme habe man lösen können, auch wenn zunächst eher ein transparenzschaffender Ansatz vorliege. Was nun noch offen sei, ließe sich nicht mehr am Schreibtisch klären, sondern müsse in eine Erprobungsphase fließen.
Kritische Stimmen, fraglicher Nutzen
In den Diskussionen der Vorträge wurde festgehalten, dass sich die derzeitigen Vorschläge des Gesetzgebers zur Entwicklung eines Qualitätssicherungsverfahrens für die ambulante Psychotherapie auf die Versorgung von Erwachsenen beziehen. Für den Bereich Kinder- und Jugendliche seien andere bzw. weitere Kriterien zu berücksichtigen. Mehrfach wurde bekräftigt, dass der Umsetzung in der Fläche eine Erprobungsphase vorausgehen müsse. Wichtig sei, dass letztlich keine Banalitäten ausgewiesen würden. Der Aufwand für die Qualitätssicherung dürfe nicht die Zeit für psychotherapeutische Leistungen mindern, auf gar keinen Fall dürfe das angestrebte Vorgehen Fehlanreize setzen und der Versorgung schaden. Offen sei die Zukunft des Gutachterverfahrens; es zeichne sich jedoch immer klarer ab, dass es durch das Qualitätssicherungsverfahren nicht ersetzt werden könne. Angemerkt wurde, dass man auf viele divergierende Interessenslagen und Faktoren blicke und sich fragen müsse, wem der beträchtliche Aufwand am Ende nutze. Zur Sprache kam auch, dass die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Qualitätssicherung sanktionsbewehrt sein soll. Dr. Nicole Helmbold erklärte hierzu, es sei ein gestuftes System vorgesehen, welches von qualitätsfördernden Maßnahmen bis letztlich zum Entzug der Genehmigung reichen könne. Die Sanktionierung der Praxen sei dabei als untergeordneter Aspekt der Qualitätssicherung zu verstehen. Prof. Dr. Jürgen Pauletzki wies darauf hin, dass es bei einer Prüfung zunächst um rein statistisch auffällige Daten ginge, die im zweiten Schritt von einer Fachkommission bewertet würden, in der die Profession vertreten sei.
Zweifel an Nutzen und Akzeptanz
Kammerpräsident Gerd Höhner dankte in seinem Schlusswort der Geschäftsstelle für die gelungene Organisation der Veranstaltung, seinem Vorstandskollegen Bernhard Moors für die Moderation und den Referentinnen und Referenten für ihre Vorträge in beeindruckender wissenschaftlicher Qualität. Dem gegenüber stünde sein Eindruck, „der Berg kreißt“. Er sehe nach wie vor keinen verhältnismäßigen Zusammenhang zwischen dem betriebenen Aufwand und dem, was erreicht werden soll. Unklar sei auch, wem all dies letztlich nutze. Diese Fragen seien auch vor dem mehrfach betonten Ausgangspunkt zu sehen, dass es keine wissenschaftliche Grundlage für die Kritik an der ambulanten Psychotherapie gäbe. Seiner Ansicht nach werde ein so wenig überzeugendes Verfahren von den Kolleginnen und Kollegen in der Praxis kaum akzeptiert werden. Vielmehr müsse man die Politik überzeugen, dass sie auf das falsche Pferd setze. Als Ergebnis der Veranstaltung könne man mitnehmen: Alle würden das Beste wollen und der Berufsstand sei bereit, ein Dokumentations- und Qualitätssicherungsverfahren zu etablieren. Doch so, wie dies derzeit geplant werde, sei es seiner Ansicht nach nicht umsetzbar.