Rückblick auf die Online-Informationsveranstaltung zur elektronischen Patientenakte am 25. Februar 2022

Am 25. Februar 2022 wurde die Online-Informationsveranstaltung „Die elektronische Patientenakte (ePA) – zwischen Patientennutzen und Datenschutz“ der Psychotherapeutenkammer NRW in Kooperation mit der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz erneut durchgeführt. Aufgrund der großen Nachfrage hatten an dem ersten Termin im September 2021 nicht alle interessierten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten teilnehmen können. Auch die Wiederholung der Fachveranstaltung fand mit rund 600 Anmeldungen – davon mehr als 130 aus Rheinland-Pfalz – großen Zuspruch.

Seit dem 1. Januar 2021 können sich Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung kostenfrei eine elektronische Patientenakte (ePA) anlegen. Für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ist die elektronische Akte eine zusätzliche Dokumentation, in der sie unter anderem medizinische Daten ihrer Patientinnen und Patienten finden können, die von anderen Behandelnden erhoben wurden. Auf der Informationsveranstaltung wurde thematisiert, wie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeutinnen die elektronische Patientenakte im Rahmen ihrer Tätigkeit nutzen können und was dabei zu beachten ist. 
 

Patientensouveränität und Datenschutz an oberster Stelle

Andreas Pichler, Vizepräsident der Psychotherapeutenkammer NRW, begrüßte die Teilnehmenden und gratulierte Ulrich Bestle - zu seiner Wahl in den Kammervorstand der Psychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz. 

Angesichts der Ereignisse in der Ukraine rief Andreas Pichler zu einer Schweigeminute für die Opfer des Krieges mitten in Europa auf. Der Vorstand der Psychotherapeutenkammer NRW sei erschüttert über die russische Invasion und die Anwendung von militärischer Gewalt. Dies dürfe keine Lösung für den politischen Konflikt sein. Hierzulande sei man gefordert, aus der umkämpften Region fliehende Menschen aufzunehmen und zu versorgen. 
 

Ulrich Bestle dankte für die Einführung und die Glückwünsche. Mit Blick auf das Thema des Tages erläuterte er anhand eines hypothetischen Fallbeispiels mögliche Vorteile der elektronischen Patientenakte. Ob und wie sie die Akte nutzen, würden Patientinnen und Patienten selbst festlegen; die Profession respektiere diese Entscheidungshoheit ihrer Klientinnen und Klienten. Grundsätzlich seien im Umgang mit der elektronischen Patientenakte ein Toplevel an Datenschutz und hohe digitale Kompetenz aller Beteiligten gefordert. Andreas Pichler wies in seiner Rolle als Moderator der Veranstaltung darauf hin, dass beide Kammern auf ihren Internetseiten über das facettenreiche Thema Digitalisierung und Psychotherapie informieren würden. (Die Psychotherapeutenkammer NRW unter „Digitale Agenda“, die Psychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz unter „Digitalisierung in der Psychotherapie“ [externer Link]). Mit dem heutigen Programm wolle man die in dieses Themenfeld eingebettete elektronische Patientenakte in ihren Funktionen und Möglichkeiten vorstellen und den Teilnehmenden Hilfestellungen an die Hand geben, wie sie sich hierzu in der Praxis organisieren können.

Sozialrechtliche Aspekte der ePA

Andrea Sieker, Rechtsanwältin und Leiterin der Abteilung Digitalisierung der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, erläuterte in ihrem Vortrag sozialrechtliche Aspekte der elektronischen Patientenakte in der psychotherapeutischen Versorgung. In SGB V (Sozialgesetzbuch Fünftes Buch) werde geregelt, welche Daten in die Akte eingestellt werden können. Die Versicherten müssten entscheiden, ob sie die Akte nutzen, was darin gespeichert werden soll und wer wann auf diese Inhalte zugreifen darf. Zudem könnten sie jederzeit Inhalte hinzufügen und löschen. Entsprechend dürften Leistungserbringende an eine elektronische Patientenakte keinen Anspruch auf Vollständigkeit stellen. Dennoch seien sie verpflichtet, die Akte als zusätzliche Informationsquelle zu nutzen. Dies entspräche im Grunde der Vorgehensweise in der analogen Welt. Den Krankenkassen komme die Aufgabe zu, ihre Versicherten über Freiwilligkeit und Einwilligung, Funktionsweise, Zugriffsmanagement und Befüllen der Akte sowie Folgen der Nutzung oder Nichtnutzung zu informieren. Für die Arbeit mit der elektronischen Patientenakte würde rechtlich verpflichtend der elektronische Heilberufsausweis (eHBA) benötigt. Ein Zugriff ohne Ausweis werde als Ordnungswidrigkeit gewertet und mit einer Geldbuße geahndet. 

Mit Blick auf die Möglichkeiten, wie Versicherte ihre Akte nutzen können, stellte Andrea Sieker neben anderen Aspekten die seit dem 1. Januar 2022 mögliche granulare Berechtigungsverwaltung vor. So könne beispielsweise Zugriff nur auf ärztliche und nicht auf psychotherapeutische Dokumente in der Akte gewährt werden. Ebenfalls seit Jahresbeginn könnten Patientinnen und Patienten, die ihre Akte wegen Krankheit oder aus anderen Gründen nicht selbst pflegen können, eine Vertretung bestellen. Ausführlich ging die Referentin darauf ein, wie im Falle von Konflikten zwischen Sorgeberechtigten das Patientengeheimnis im Sinne des Kindeswohles gewahrt werden könne. Bei der notwendigen Güterabwägung sei maßgeblich, dass Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gemäß ihrer Berufsordnung vorrangig dem Wohle ihrer Patientinnen und Patienten verpflichtet seien. Weitere Informationen zu der Delegation von Aufgaben und zur Dokumentation rundeten ihren Vortrag ab.
 

Aktuelle Funktionen, geplante Ausbaustufen

Charly Bunar, strategischer Produktmanager ePA bei der gematik, stellte seinen Vortrag unter die Überschrift „Von der Theorie in die (psychotherapeutische) Praxis: Konzept, Funktionsweise und Ausblick auf die Ausbaustufen der ePA“. Mit der bundesweit, sektoren- und einrichtungsübergreifend nutzbaren Anwendung werde es möglich, räumlich verteilte Gesundheitsinformationen zu bündeln. Weitere Vorteile würden sich durch Standardisierungen ergeben. In diesem Jahr könne zunächst der elektronische Impfausweis als standardisiertes Dokument in die elektronische Patientenakte eingebracht werden. Zukünftig solle dies auch für Dokumente wie Laborbefunde möglich werden.

Nach einer Übersicht über nutzerspezifische Voraussetzungen für den Umgang mit der elektronischen Patientenakte demonstrierte Charly Bunar anhand fiktiver Beispiele ihren Einsatz in der Praxis. Patientinnen und Patienten könnten unter anderem zeitlich befristete Zugangsberechtigungen einrichten und erkennen, welche Aktionen in der Akte getätigt wurden. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten würden für den technischen Zugang zu der Akte den Konnektor zur Telematikinfrastruktur (TI) sowie ihren Praxisausweis (SMC-B) benötigen. Zusätzlich müssten sie zur Legitimation über den elektronischen Heilberufsausweis verfügen. Über ihr Praxisverwaltungssystem und ihre Telematik-ID – sofern diese von der Patientin bzw. dem Patienten freigegeben wurde – könnten sie sich in die Akte einloggen und Inhalte suchen, lesen und herunterladen. Auch Dokumente einstellen und sie mit Metadaten kennzeichnen sei möglich. Ihre Einträge würden vom System automatisch protokolliert. Die in der elektronischen Patientenakte vorliegenden Daten würden dabei immer eine Sekundärdokumentation darstellen; die Primärdokumentation liege bei den Behandelnden.

Der Funktionsrahmen der Anwendung werde mit weiteren geplanten Ausbaustufen fortlaufend erweitert, so der Referent. Seit Beginn des Jahres stünde eine Desktop-Version zur Verfügung, über die Versicherte ihre Akte auch am Computer aufrufen können. Ebenfalls neu seien ein vereinfachtes Berechtigungskonzept und die Einrichtung von Vertreterrollen. Ab 2023 sollen unter anderem Daten in der Akte pseudoanonymisiert für die Forschung zur Verfügung gestellt werden können. Zudem soll eine Erklärung zur Organspende eingestellt und sollen Daten aus Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) in die Akte übertragen werden können.
 

Rechts- und Haftungsfragen zur ePA

Götz Keilbar (Fachanwalt für Medizin-, Verkehrs- und Versicherungsrecht) erörterte haftungsrechtliche Fragestellungen der elektronischen Patienten-akte. Bei seinem „Blick durch die Haftungsbrille“ konzentrierte er sich in seinem Vortrag auf drei wesentliche Fragen. Erstens müsse man den Zweck der elektronischen Patientenakte beleuchten. Sie sei für mehr Qualität, Transparenz und Wirtschaftlichkeit in der Versorgung eingeführt worden; insbesondere sollen Anamnese und Befunderhebung unterstützt werden. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten seien angehalten, sich bei ihren Patientinnen und Patienten zu erkundigen, ob sie eine elektronische Akte führen. Es sei ratsam, Fragen und Antworten hierzu zu dokumentieren. Auf Nachfragen unterstrich er in der Diskussion seines Vortrags nochmals, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten müssten den Nachweis erbringen können, dass sie mit ihrer Patientin bzw. ihren Patienten über das Vorliegen einer elektronischen Patientenakte gesprochen haben. 

Zum zweiten müsse man sich damit befassen, wer über den Inhalt der Akte verfügen darf und womit sie befüllt werden soll. Da die Versicherten Inhaber der Akte sind, läge das Einsichtsrecht bei ihnen. Nach SGB V könnten sie jedoch Dritten Einsicht gewähren. Insbesondere betonte Götz Keilbar den Anspruch der Versicherten auf Befüllung ihrer Akte. Wenn eine Patientin oder ein Patient wünsche, dass Daten in die Akte eingestellt werden, müssten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten dem nachkommen. Allerdings seien nur versorgungsrelevante Daten aus der konkreten aktuellen Behandlung einzubringen.

Ein dritter wichtiger Aspekt sei die Frage, wie alle Beteiligten mit der elektronischen Patientenakte umgehen sollten. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten müssten bei Vorliegen einer Akte darin enthaltene Daten im Rahmen ihrer Anamneseerhebung beachten. Allerdings müssten sie nicht sämtliche in der Akte hinterlegten Informationen lesen. Der Inhalt der Akte sei zudem nur eine Ergänzung zum persönlichen Gespräch. Grundsätzlich würde die elektronische Patientenakte den Umgang mit Patientendaten nicht verändern, hielt der Referent fest. Es ginge vielmehr darum, in die digitale Welt zu überführen, was Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten heute analog umsetzen. Der Standard hierzu werde sich noch entwickeln.

Fragen und Podiumsdiskussion 

Jeweils im Anschluss an die Fachreferate nutzten viele der Teilnehmenden die Gelegenheit, sich mit Kommentaren und Fragen an die Referierenden zu Wort zu melden. Unter anderem wurden die Aufgaben der Krankenkassen und Angebote für privat Versicherte angesprochen. Auch Haftungsprobleme, Datenschutz und der Umgang mit der Akte im Berufsalltag wurden adressiert. An der anschließenden Podiumsdiskussion beteiligten sich die Referierenden, Andreas Pichler und Ulrich Bestle jeweils für den Vorstand ihrer Kammer sowie Beate Kalz, Referentin TI-Fachanwendungen im Geschäftsbereich IT & eHealth der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe, und Dr. jur. Steffen Römheld, juristischer Referent im Geschäftsbereich Recht der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. In dem angeregten Austausch wurde nochmals deutlich, dass der Einsatz der elektronischen Patientenakte zahlreiche Fragen aufwirft. Mehrfach wurde der Wunsch nach Anleitung und Unterstützung im Umgang mit der Anwendung geäußert.

Abschließend forderte Andreas Pichler, zentrale Aspekte bei der Nutzung der Akte auf die politische Agenda zu setzen. Die bestehenden Probleme dürften nicht auf die niedergelassenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten abgewälzt werden. Ulrich Bestle betonte die Pflicht der Krankenkassen, ihre Versicherten über die elektronische Patientenakte aufzuklären. Als Vertretung des Berufsstandes werde man im Sinne des Patientenschutzes weiterhin die Defizite der Anwendung aufzeigen.

Hierunter würde beispielsweise der bislang unberücksichtigte, in den Praxen mittlerweile enorme Zeitaufwand für die Betreuung der TI oder bei Störungen ihrer Komponenten fallen, führte Andreas Pichler an. Auch die hohen Finanzmittel, die für die Ausgestaltung der TI aufgebracht werden, würden Zweifel wecken. Des Weiteren sei unbefriedigend, wie der Aufwand sowohl für die Implementierung der Anwendungen (darunter die elektronische Patientenakte) als auch für die Beratung der Patientinnen und Patienten hierzu in den Vergütungsvereinbarungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) abgebildet sei.

Beide Vorstandsmitglieder dankten allen Teilnehmenden für ihr Engagement; Andreas Pichler dankte dem Organisationsteam für den Einsatz bei Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung.
 

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