Ruhrgebiet: Psychisch Kranke warten besonders lang auf eine Behandlung - In NRW fehlen insgesamt 1.600 psychotherapeutische Praxen
Psychisch Kranke warten im Ruhrgebiet durchschnittlich 17 Wochen auf ein erstes Gespräch beim Psychotherapeuten. Das ist fast doppelt so lang wie in anderen deutschen Großstädten, in denen die Wartezeit neun Wochen beträgt. Aus Sicht der Psychotherapeutenkammer NRW sind nicht mehr als drei Wochen zumutbar. „Der massive Mangel an psychotherapeutischen Behandlungsplätzen zwischen Duisburg und Dortmund liegt insbesondere daran, dass die rund fünf Millionen Menschen des Ruhrgebietes in der Bedarfsplanung systematisch benachteiligt werden“, kritisiert Monika Konitzer, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer NRW. „In den Großstädten des Ruhrgebiets hat der Gesetzgeber einen viel geringeren psychotherapeutischen Bedarf angenommen als in allen anderen deutschen Großstädten. Wir fordern deshalb für Nordrhein-Westfalen 1.600 psychotherapeutische Praxen zusätzlich.“
Sonderregion Ruhrgebiet
Wie viele Ärzte oder Psychotherapeuten sich in einem Gebiet niederlassen dürfen, ist in der Bedarfsplanungsrichtlinie geregelt. Das gesamte Bundesgebiet ist darin in neun Kreistypen eingeteilt, in denen sich je nach Stadt oder Land unterschiedlich viele Ärzte oder Psychotherapeuten niederlassen dürfen: In Großstädten (Kreistyp 1) sind danach beispielsweise 38,8 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner vorgesehen, um eine ausreichende Zahl an Behandlungsplätzen sicherzustellen. In ländlichen Regionen (Kreistyp 9) sind es nur 4,3 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner. Für das Ruhrgebiet wurde in der Bedarfsplanungsrichtlinie eine Sonderregion (Kreistyp 10) geschaffen, in der grundsätzlich ein viel niedrigerer Bedarf an Psychotherapeuten angenommen wurde als in allen anderen deutschen Großstädten.
Die Menschen in Duisburg, Essen, Mülheim, Oberhausen, Bochum, Bottrop, Dortmund, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm und Herne sollen danach nur von 11,4 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner versorgt werden. Das entspricht einer Einordnung als Kreisstadt. Korrekt wäre ihre Einordnung als Großstadt (38,8). Damit soll das Ruhrgebiet schon mit 30 Prozent der Psychotherapeuten auskommen, die in anderen Großstädten als notwendig erachtet werden, um psychisch kranke Menschen zu behandeln. „Das ist eine absurde Annahme, für die es keine fachliche Begründung gibt“, erklärt Konitzer. „Die Sonderregion Ruhrgebiet muss bei der anstehenden Reform der Bedarfsplanung abgeschafft werden. Die Städte an Rhein und Ruhr benötigen die gleiche Anzahl an Psychotherapeuten wie alle anderen deutschen Städte.“
Historische Planungsfehler
Den Beruf des Psychotherapeuten als gleichberechtigten Heilberuf für psychische Krankheiten gibt es in Deutschland seit dem 1.1.1999. Die Zahl der Psychotherapeuten, die für eine ausreichende Zahl an Behandlungsplätzen für psychisch Kranke notwendig ist, wurde bereits im August 1999 festgelegt. „Dabei wurden erhebliche Fehler in der Bedarfsplanung gemacht“, kritisiert die Präsidentin der Psychotherapeutenkammer NRW. „Die Zahl der notwendigen Praxen wurde erheblich unterschätzt. Die Wartezeiten für psychisch Kranke sind deshalb überall viel zu lang. Sie betragen im Bundesdurchschnitt 12,5 Wochen.“
Die Psychotherapeutenkammer NRW fordert deshalb eine grundsätzliche Reform der Bedarfsplanung, bei der alle Verhältniszahlen nach aktuellen Erkenntnissen neu berechnet werden. In Großstädten strebt die Kammer rund 50 bis 60 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner an, auf dem Land 25 bis 30 Psychotherapeuten. Danach sind in Nordrhein-Westfalen rund 1.600 Psychotherapeuten zusätzlich notwendig, um die Wartezeiten für psychisch Kranke auf eine vertretbare Dauer zu verkürzen. Auch psychisch Kranke sollten – wie körperlich Kranke auch – nicht länger als drei Wochen auf ein erstes Gespräch beim Psychotherapeuten warten. Dadurch könnten sich mehr Psychotherapeuten vor allem im Ruhrgebiet und in ländlichen Kreisen niederlassen. In einigen Großstädten außerhalb des Ruhrgebiet würde sich die Anzahl der heute zugelassenen Praxen verringern (z.B. Köln, Bonn, Münster).
Extrabudgetäre Vergütung
Die Psychotherapeutenkammer NRW geht von einem zusätzlichen Honorarbedarf in Nordrhein-Westfalen von rund 120 Millionen Euro aus. Die Honorare für diese zusätzlichen Praxen sollten zusätzlich zur Gesamtvergütung von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden. „Die Krankenkassen sollten erkennen, dass sich die Investitionen in die ambulante psychotherapeutische Versorgung für sie rechnen“, erklärt Monika Konitzer. „Patienten, die keinen Psychotherapeuten finden, wenden sich notgedrungen häufiger an Krankenhäuser oder warten so lange, bis sich ihre Erkrankung verschlimmert oder chronisch geworden ist.“ Nach Berechnungen der Bundesregierung entstehen den Unternehmen jährlich durch psychische Krankheiten Produktionsausfälle von 26 Milliarden Euro.