Symposium für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie der Psychotherapeutenkammer NRW
Ihr erstes Symposium für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie am 9. März 2019 in Dortmund stellte die Psychotherapeutenkammer NRW (PTK NRW) unter die Überschrift „Psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen heute und morgen." Die rund 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten die ganztägige Veranstaltung, um sich über fachliche Aspekte in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auszutauschen, die bestehende Versorgungssituation zu analysieren und Wege zur Verbesserung zu diskutieren. Auch berufspolitische Entwicklungen, die damit verbundenen Aufgaben für den Berufsstand und die Entwicklung zukünftiger Arbeitsfelder kamen zur Sprache. Ebenso wurden notwendige Rahmenbedingungen, Handlungsspielräume und Befugnisse für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erörtet – vor dem Hintergrund aktueller Gegebenheiten und mit Bezug auf die vorgesehenen Regelungen im Gesetzesentwurf zur Reform der Psychotherapeutenausbildung, der Ende Februar 2019 vom Bundeskabinett beschlossenen wurde. Ausgerichtet wurde das Symposium federführend von dem Ausschuss „Psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen“ der PTK NRW in Zusammenarbeit mit dem Kammervorstand.
Zukünftige Arbeitsfelder entwickeln
Gerd Höhner, Präsident der PTK NRW, betonte in seiner Begrüßung die Notwendigkeit, Arbeitsfelder zu entwickeln, die derzeit noch nicht im Fokus stünden. „Das betrifft beispielsweise psychotherapeutische Angebote in der Jugendhilfe oder Psychotherapie bei chronischen somatischen Erkrankungen. Wir werden hier gezielt angefragt und müssen darauf reagieren, indem wir unsere Kompetenzen in diesen Bereichen einbringen.“ Auch die Neuausrichtung der Personalverordnungen in den Krankenhäusern spiele eine wichtige Rolle. „Wir haben erreicht, dass unsere Berufe konkret benannt werden müssen. Damit wird Psychotherapie im stationären Bereich sichtbar. Das eigentliche Ziel ist aber, die Angebote dort zu verstärken.“ Ebenso müsse man sich – auch angesichts der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen – um eine bessere Versorgung im ambulanten Bereich kümmern, hielt Gerd Höhner fest. „Das gilt insbesondere für das Ruhrgebiet. Mit den 85 zusätzlichen Sitzen für die Region, die im letzten Jahr bewilligt und besetzt wurden, hat noch keine ausreichende Erweiterung des Leistungsangebotes stattgefunden.“ Darüber hinaus sei die Reform der Psychotherapeutenausbildung eine zentrale Aufgabe. „Der Gesetzesentwurf greift maßgebliche Anliegen der Psychotherapeutenschaft auf. Allerdings sehen wir auch Nachbesserungsbedarf. Die aus Sicht der Kammer relevanten Punkte werden wir gezielt und mit Nachdruck in den Diskussionsprozess einbringen“, versicherte der Präsident.
Befugnisse nicht einschränken
Cornela Beeking, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Vorstandsmitglied der PTK NRW, zeigte sich erfreut über das große Interesse an dem in wenigen Tagen ausgebuchten Symposium und griff das Thema Reform der Psychotherapeutenausbildung auf. „Mit dem Gesetzesentwurf werden Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in ihren Befugnissen schlechter gestellt als Fach-Psychotherapeuten. So ist vorgesehen, sie weiterhin berufsrechtlich auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen bis 21 Jahre zu beschränken. Doch die Fehler des ersten Psychotherapeutengesetzes sollten jetzt vermieden werden. Wir werden daher zu diesem und zu weiteren Aspekten im Kabinettsentwurf klar Stellung nehmen und unsere Interessen vertreten.“ Beispielsweise müssten Übergangsregelungen für approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten geschaffen werden, damit sie die ergänzenden Rechte der zukünftigen Approbation erwerben können. Nicht zuletzt trage dies auch dazu bei, den Beruf für den Nachwuchs attraktiv zu halten.
Versorgung sicherstellen und verbessern
Oliver Staniszewski, Vorsitzender des Ausschusses „Psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen“ der PKT NRW, skizzierte das Berufsfeld und fächerte die Vielfalt der Arbeitsbereiche von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten auf. Zu beklagen sei allerdings, dass längst nicht alle Heranwachsenden mit einer diagnostizierten Störung eine Behandlung erhielten. Man müsse daher dafür eintreten, zukünftig die Versorgung in allen Bereichen sicherzustellen. Eine besondere Herausforderung sei dabei, Schnittstellen besser zu verzahnen und die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit von Schule und Psychotherapie zu stärken. Auch er sprach sich gegen die im Gesetzesentwurf zur Reform vorgesehene Altersbeschränkung der Patientinnen und Patienten aus – nicht jeder sei mit 18 oder 21 Jahren „erwachsen“. Abschließend mahnte er an, dass seit der Änderung der Psychotherapierichtlinie der Umfang an kassenbewilligten Therapieleistungen in Privatpraxen um 25 Prozent gesunken sei. Die restriktive Handhabe würde den Druck für die ohnehin unterversorgten Kinder und Jugendlichen weiter erhöhen und sei nicht hinnehmbar.
Traumafolgestörungen bei Kindern nach früher emotionaler Vernachlässigung
In dem ersten Vortrag des Vormittags erläuterte die Psychologische Psychotherapeutin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Dorothea Weinberg, wie Traumafolgestörungen bei Kindern nach früher emotionaler Vernachlässigung begegnet werden kann. Sie beschrieb, dass betroffene Kinder ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen hätten; insbesondere bei Kindern mit pränatalen Vorschädigungen durch psychische Belastungen der Mutter führe der Mangel an Zuwendung zu drastischen Störungsbildern. Aufgrund extremer Anpassungsleistungen würden viele Kinder allerdings zunächst nicht auffallen; erst nach der Pubertät käme der Zusammenbruch. Insgesamt fächere sich ein breites Feld möglicher psychischer Störungen auf und es bräuchte viel Zeit, diese Kinder psychotherapeutisch zu erreichen. Hinzu käme ein erhöhtes Risiko der Heranwachsenden für chronifizierte körperliche Erkrankungen. In der Zusammenschau offenbare sich damit auch eine bedeutende gesundheitspolitische Dimension.
Gegensteuern ließe sich aus Sicht der Referentin, wenn die Frühen Hilfen anders aufgebaut würden und Eltern und Kinder über längere Zeit begleitet werden könnten. Ein großer Schritt nach vorne sei es, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Frühen Hilfen entsprechendes Wissen an die Hand zu geben und ihnen zu vermitteln, wie sie den Eltern frühzeitig positive Verhaltensweisen für den Umgang mit einem frühgeschädigten Baby aufzeigen könnten. Grundsätzlich seien Stressmanagement, Containing und die Berücksichtigung verschiedener Ego-States wertvolle Hilfen für Kinder mit einer Traumafolgestörung nach früher emotionaler Vernachlässigung.
Blick in die Zukunft
In einem zweiten Vortrag blickte Bernhard Moors, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und Vorstandsmitglied der PTK NRW, auf das Profil, die Versorgungsaufgaben von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen/Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und die Zukunft des Berufes. „Zu den Besonderheiten bei der Arbeit mit Kindern gehören unter anderem, entwicklungsbedingte Spezifika zu sehen, eine geringere Einsichtsfähigkeit und die Abhängigkeit von Bezugspersonen zu berücksichtigen und das Bezugssystem einzubeziehen. Das verdeutlicht bereits die umfassenden Kompetenzen, die unser Berufsstand hat.“ Beachtenswert sei auch die gesundheitspolitische Relevanz der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. „Vor allem bei emotionalen Störungen ab dem Jugendalter besteht ein deutlich erhöhtes Chronifizierungsrisiko. Zudem finden sich bei vielen psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter Vorläufer psychischer Störungen bereits in Kindheit und Jugend. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ist damit auch Prävention für das Erwachsenenalter.“
Ausführlich widmete sich das Vorstandsmitglied der PTK NRW zukünftigen Herausforderungen für den Berufsstand. Dazu gehöre die Ausweitung von Versorgungsleistungen in verschiedenen Kontexten oder für Zielgruppen wie Kinder psychisch kranker Eltern, die Klärung von Fragen im Zusammenhang mit der Digitalisierung und die Entwicklung von Arbeitsfeldern im Krankenhaus und in der Jugendhilfe. „Unser Angebot wird gebraucht und wir sind die Expertinnen und Experten in der Versorgung“, sagte Bernhard Moors abschließend. „Aber wir müssen auch weiterhin die Interessen unseres Berufes deutlich machen und sollten möglichst in allen Arbeitsfeldern vertreten sein. Ebenso müssen wir Netzwerke und Kooperationen ausbauen und für angemessene Rahmenbedingungen eintreten. In diesem Sinne werden wir uns auch aktiv in die Beratungen zum Gesetzesentwurf für die Reform der Psychotherapeutenausbildung einbringen.“
Themenvertiefende Workshops
Am Nachmittag befassten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums in sechs Workshops mit Aspekten der traumabezogenen Spieltherapie (Dorothea Weinberg), der Psychotherapie für Kinder und Jugendliche mit chronischen somatischen Erkrankungen (Melanie Gräßer), der systemischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (Reinert Hanswille), der fachlichen Notwendigkeit der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie im institutionellen Bereich (Wolfgang Schreck), der psychodynamischen Säuglings-Kleinkind-Elternpsychotherapie (Patrizia Noßmann-Denich und Peter Kälble) sowie der Einbeziehung der Bezugspersonen (Dagmar Lehmhaus).
Abschließende Podiumsdiskussion
In der nachfolgenden, von Oliver Staniszewski und PTK NRW-Mitglied Benedikta Enste moderierten Podiumsdiskussion fassten die Referentinnen und Referenten zentrale Forderungen für ihren Bereich und für die Zukunft der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie zusammen. Dagmar Lehmhaus betonte die Portalfunktion der Eltern und dass es neue Zugänge und ausreichend Stunden bräuchte, um Mütter und Väter für ihre Elternrolle zu stärken. Dorothea Weinberg forderte, das kindliche Spielverhalten und Träume der Kinder als wichtige Parameter für die Diagnose von Traumafolgeerkrankungen stärker zu berücksichtigen. Melanie Gräßer äußerte den Wunsch, dass Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten rechtzeitig in das Behandlungsmanagement bei chronisch somatischen erkrankten Kindern einbezogen werden. Wolfgang Schreck warb für den Arbeitsplatz Jugendhilfe, der dem Berufsstand viele Möglichkeiten eröffnen würde, und unterstrich die Bedeutung von Kompetenz und Know-how der Profession in diesem Bereich. Schließlich rief Bernhard Moors auf, sich berufspolitisch zu engagieren. „Wenn wir mit der Ausbildungsreform einen Beruf bekommen, müssen wir Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten weiterhin gut vertreten sein und dafür sorgen, dass wir die notwendigen Rahmenbedingungen für eine gute Versorgung erhalten.“