Wenn die Pille keine Lösung ist - Erektionsstörungen bei Männern nehmen zu
Rund fünf Millionen Männer in Deutschland haben Erektionsstörungen. Bis 2025 wird ihre Zahl auf mindestens sieben Millionen steigen. „Erektionsstörungen haben dieselben Risikofaktoren wie Herzinfarkt und Schlaganfall“, stellt Prof. Dr. Uwe Hartmann von der Universität Hannover auf dem 7. Jahreskongress Psychotherapie am 22./23. Oktober in Bochum fest. „Privater und beruflicher Stress, zu wenig Bewegung, Übergewicht – alles was hohen Blutdruck verursacht und Blutgefäße belastet, bereitet immer mehr Männern auch sexuelle Probleme.“
Die Einführung des Potenzpräparats „Viagra“ vor 20 Jahren versprach ein blaues Wunder und die Schwellkörper von Männern stärker und länger zu durchbluten. „Nach der Antibabypille schien mit der Pille für die männliche Potenz eine zweite sexuelle Befreiung möglich: die Befreiung von sexuellen Schwierigkeiten für Männer im Alter“, berichtet Hermann Schürmann, Vize-Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW. „Die Befreiung blieb - wie zu erwarten - aus, aber erstaunlicherweise wagen es Männer seither häufiger, über Erektionsstörungen mit ihren Ärzten zu sprechen. Viagra & Co. halfen männliche Tabus zu knacken.“
Die PDE-5-Hemmer, wie die neuen Potenzpräparate von Pharmakologen bezeichnet werden, waren nur bei 50 bis 60 Prozent der Männer wirksam. Außerdem übernehmen die Krankenkassen nicht die Kosten, die sich im Jahr auf rund 1.500 Euro summieren. Männer sollten Erektionsstörungen nicht übergehen: Erektionsstörungen können ein frühes Symptom z.B. für Herzerkrankungen sein. Häufig haben sie aber auch psychische Ursachen. „Viele Männer haben die verständliche Hoffnung, auch im Altern noch mit Spaß Sex zu haben“, erläutert Sexualtherapeut Hartmann. „Wenn Erektionsstörungen auftauchen, muss es mit dem Sex auch nicht vorbei sein.“ Hartmann spricht sogar von einer „zweiten Chance“, Sexualität mit mehr Gelassenheit und Genuss zu erleben.“
Die sechziger Jahre brachte den Frauen mit der Antibaby-Pille die Möglichkeit, ihre sexuellen Wünsche von ihren Kinderwünschen zu trennen. Eine Erektionsstörung ist für Männer die Chance, mit den männlichen Mythen von unerschöpflicher sexueller Leistungsfähigkeit aufzuräumen. „Sex sollte vor allem die Wünsche der beiden Beteiligten und nicht so sehr gesellschaftliche Normen erfüllen“, empfiehlt der Hannoveraner Experte. „In den deutschen Betten macht vor allem die Angst ein befriedigendes Sexualleben schwierig. Was Männern die Lust raubt, ist häufig die Sorge zu versagen oder das übermäßige Bemühen, den Partner zu befriedigen.“ Was Männern durch den Kopf geistert sind Mythen wie z.B.: „Ein Mann muss immer zum Höhepunkt kommen.“ „Beide Partner müssen ihren Orgasmus gleichzeitig erleben.“ „Nur Geschlechtsverkehr ist richtiger Sex.“
Anders als Potenzpräparate werden die Kosten für eine Psychotherapie bei Erektionsstörungen und anderen Sexualstörungen von den Krankenkassen übernommen. „Eine Sexualtherapie ist meist eine Kurztherapie von bis zu 25 Stunden, in der es nicht in erster Linie darum geht, die ganze Persönlichkeit oder Partnerschaft umzukrempeln, sondern die Hindernisse und Blockierungen aus dem Weg zu räumen, die ganz aktuell eine befriedigende Sexualität verhindern. Oft sind dies Ängste, Leistungsdruck oder überzogene Erwartungen, erläutert Sexualwissenschaftler Hartmann.