Regionalversammlung im Regierungsbezirk Arnsberg
Am 6. Juni 2018 fand in Dortmund die 2. Regionalversammlung der Psychotherapeutenkammer NRW (PTK NRW) für den Regierungsbezirk Arnsberg statt. Zentrale Themen waren die Reform der Psychotherapeutenausbildung, die Nutzung von Internetangeboten in der Psychotherapie, Informationen zur Versorgungsplanung generell und im Ruhrgebiet sowie Erkenntnisse aus der Studie „Wartezeiten 2018“ der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) zur Umsetzung der Psychotherapie-Richtlinie. Zu der Veranstaltung hatten sich über 90 Mitglieder angemeldet.
Reform der Psychotherapeutenausbildung
Hinsichtlich der Bestrebungen, die Psychotherapeutenausbildung zu reformieren und wie in der Medizin einen Approbationsstudiengang mit anschließender Weiterbildung zu schaffen, gäbe es mittlerweile eine abgestimmte gemeinsame Linie mit dem Bundesgesundheitsministerium, erklärte Gerd Höhner , Präsident der PTK NRW. „Auf Landesebene sind wir nach dem Regierungswechsel auf einem guten Weg, Gesprächsebenen mit den neuen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern zu entwickeln.“ Bedenken der Bundesländer seien inzwischen ausgeräumt. Insgesamt sehe er keine Anzeichen, dass die Reform stagniere oder infrage gestellt würde. Bei der Ausgestaltung des Studiums könne man in den nächsten zwei Jahren zu beschlussfähigen Konzepten kommen, so seine Einschätzung. Die Weiterbildung sei getrennt zu betrachten. „Auch hier gibt es aber mittlerweile Ansätze, die Finanzierungsfragen zu regeln.“
Aus dem Versorgungsfeld gäbe es eine nachdrückliche, nicht immer positive Resonanz auf die Reformbestrebungen, berichtete Gerd Höhner weiter. Verwunderlich sei dies nicht. „Unsere Profession hat sich zu einer bedeutenden Größe im Versorgungssystem entwickelt. Wir haben bundesweit mittlerweile über 45.000 approbierte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die weit über 80 Prozent der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung tragen. Wir bringen Kompetenzen mit und machen ein gutes Angebot – auch in Bereichen, in denen wir vor einigen Jahren noch gar nicht präsent waren. Man kann nicht erwarten, dass sich unsere Wettbewerber darüber nur freuen.“
„Psychopharmakotherapie“ als Modellstudiengang
Intensiv und teilweise heftig wurde in den vergangenen Monaten der Vorschlag aus dem Bundesgesundheitsministerium diskutiert, einen Modellstudiengang „Psychopharmakotherapie“ einzurichten. Der Kammerpräsident betonte, dass diese Idee nicht aus den eigenen Reihen stamme, sondern angesichts des Mangels an Psychiaterinnen und Psychiatern an den Berufsstand herangetragen worden sei. „In der Profession gab es viele prompte Reaktionen darauf, von ‚Das gehört nicht zu uns!’ bis zu ‚Warum nicht?’. Für beide Seiten gibt es Argumente, die wir aber mit ausreichend Zeit diskutieren müssen. Denn es geht auch um die tiefergehende Frage unserer beruflichen Identität.“ Auf dem Deutschen Psychotherapeutentag (DPT) im April 2018 wurde ein Modellstudiengang „Psychopharmakotherapie“ mit großer Mehrheit als nicht zielführend abgelehnt. „Dahinter steht keine grundsätzliche Absage, sondern die Feststellung, dass es so wie vorgeschlagen nicht geht – schon gar nicht in einem Hauruck-Verfahren, in dem wir zum Lückenbüßer für einen Systemfehler werden sollen“, konstatierte Gerd Höhner. In der Aussprache wurde mehrfach betont, dass die Abstimmung der psychotherapeutischen und der medikamentösen Behandlung rechtlich verbindlich verankert werden müssen und Ärztinnen bzw. Ärzte und Psychotherapeutinnen bzw. Psychotherapeuten in der ambulanten Versorgung kooperieren müssten.
Internet in der Psychotherapie
Über die Entwicklungen und den Diskussionsstand zur Nutzung medialer Angebote in der Psychotherapie informierte PTK NRW-Vorstandsmitglied Hermann Schürmann . „Anders als bei Ärztinnen und Ärzten, die jüngst auf dem Ärztetag das Fernbehandlungsverbot gelockert haben, müssen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gemäß ihrer Berufsordnung eine Patientin oder einen Patienten gesehen und in persönlichem Kontakt einen Befund erhoben haben“, rief er in Erinnerung. Derzeit gäbe es jedoch laufend Nachrichten über neue mediale Angebote: Zeitschriften würden über Apps zum Beispiel bei Depressionen berichten, Krankenkassen ihren Versicherten spezifische Gesundheits-Apps und Internet-Programme anbieten, sogar ein Lehrstuhl zu internetbasierter Psychotherapie sei entstanden.
Wichtig sei, das wachsende Angebot zu differenzieren, hielt das Vorstandsmitglied der PTK NRW fest. Manche Medien würden Stift und Papier ersetzen und könnten als Unterstützung für Hausaufgaben im Rahmen einer Psychotherapie sinnvoll sein. Andere könnten helfen, den Kontakt aufrechtzuerhalten, wenn eine Patientin oder ein Patient zum Beispiel auf Reisen ist – etwa als Kommunikation via E-Mail, wobei eine sichere Verbindung gewährleistet sein müsse. Manche Programme könnten eine face-to-face-Therapie ergänzen oder unterstützen, während die Therapeutin bzw. der Therapeut weiterhin die Behandlung in der Hand habe. „Ein zentraler Punkt bei der Nutzung dieser Angebote ist die Frage, was Beratung ist und wann die Grenze zur Behandlung überschritten wird“, betonte Hermann Schürmann. „Da immer mehr Anbieter auf den Markt drängen, müssen wir uns damit beschäftigen. Auch Patientinnen und Patienten, die nicht so schnell wie nötig einen Behandlungsplatz erhalten und dann auf diese Angebote zurückgreifen, erhöhen den Handlungsdruck.“
In der Diskussion wurde angesprochen, dass es über neue Medien auch möglich werde, Kontakt zu Patientinnen und Patienten zu halten, die aufgrund körperlicher Einschränkungen keine Praxis aufsuchen können. PTK-NRW Vorstandsmitglied Mechthild Greive wies darauf hin, dass bei der Nutzung von medialen Angeboten in der Psychotherapie immer im Einzelfall mit der Krankenkasse die Abrechnung geklärt werden müsse. Auf die Nachfrage nach Studien erklärte Gerd Höhner, es gäbe Hinweise, dass eine reine internetbasierte Kommunikation geringere Erfolge habe, die Kombination aus einer internetbasierten Psychotherapie und persönlichen Kontakten hingegen effektiv sei. Die Kontakte der Apps nähmen nach anfänglicher Teilnahme rasch ab (s. Bericht zum Großen Ratschlag „Internet in der Psychotherapie“ [interner Link]). Für die Profession ginge es derzeit darum, nicht apodiktisch ja oder nein zu sagen. „Der Knackpunkt ist die Frage, wo der persönliche Kontakt nach unserer fachlichen Gewissheit nicht ersetzbar ist.“
Entwicklungen in der Versorgungsplanung
Drängende Fragen zur Versorgungsplanung soll das im Sommer erwartete „große Gutachten“ des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur ambulanten Versorgung beantworten. „Im Grunde beschäftigt es sich damit, wie sich Versorgungsbedarfe messen lassen“, erläuterte Gerd Höhner. „Allerdings lässt sich die Frage, was als behandlungsbedürftige Krankheit zu werten ist, gerade für unseren Versorgungsbereich nicht leicht beantworten und wird wohl auch durch das Gutachten nicht gelöst werden.“ Speziell zur Beurteilung der Versorgungssituation im Ruhrgebiet liege bereits eine Erhebung des IGES Institut vor, informierte der Kammerpräsident. „Sie zeigt eindeutig: Die Situation in der Region ist schlecht und wir müssen die Versorgungsangebote ausweiten.“ Der G-BA habe nun auf rechtlicher Grundlage 85 neue Sitze für die Region beschlossen, die im Herbst dieses Jahres von den Kassenärztlichen Vereinigungen zugewiesen werden sollen. Die PTK NRW hatte mit Blick auf das Volumen von Psychotherapieleistungen in Kostenerstattung rund 300 neue Sitze für das Ruhrgebiet gefordert. Derzeit sei unklar, wie die 85 Sitze umgesetzt und wie viele aus Sonderbedarf, über Jobsharing oder als Angestellten-Modelle entstehen würden. „Am Ende werden es weniger als 85 Sitze sein. Eine echte Verbesserung in der Versorgung wird es damit nicht geben“, kritisierte Gerd Höhner. In der Aussprache wurde auch auf neue Versorgungsfelder hingewiesen und das Psychotherapie mittlerweile bei Erkrankungen wie Diabetes häufig nachgefragt werde. „Der Kernbereich unserer Arbeit ist es, Menschen fit im Umgang mit sich selbst zu machen – wahrscheinlich können wir in diesem Kontext bei allen chronischen Krankheiten überlegen, eine psychotherapeutische Mitbehandlung anzubieten“, pflichtete Gerd Höhner bei. „Auch bei psychotherapeutischen Angeboten für chronisch kranke, intelligenzgeminderte oder traumatisierte Menschen, die aktuell keinen Behandlungsplatz finden, sehen wir einen großen Nachholbedarf.“
Evaluation der Psychotherapie-Richtlinie
Schließlich ging der Kammerpräsident auf die „Wartezeiten-Studie“ der BPtK vom April 2018 ein. Die Erhebung entstand in Zusammenarbeit mit den Landespsychotherapeutenkammern und hat die Umsetzung der zum April 2017 hin geänderten Psychotherapie-Richtlinie evaluiert. Die Daten für diese Studie wurden mittels einer Internetbefragung gewonnen, die sich an alle Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychologischen Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gerichtet hatte, die sich mit einer Kassenzulassung an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung beteiligen. „Mit einer Rücklaufquote von knapp 40 Prozent wurde die Befragung äußerst gut angenommen“, berichtete Gerd Höhner.
Für das Ruhrgebiet weise die Studie eine Wartezeit von aktuell im Schnitt sieben Monaten bis zum Beginn einer Psychotherapie aus. „Aus unserer Sicht ist das eine Katastrophe; besonders negativ wirken sich derart lange Wartezeiten für Kinder und Jugendliche aus“, urteilte Gerd Höhner. Allerdings wurde auch ersichtlich, dass es Patientengruppen gibt, die man jetzt besser erreiche. So kämen mehr Menschen mit chronischen Erkrankungen, arbeitsunfähige und sozial benachteiligte Patientinnen und Patienten in die Sprechstunde. Die Erhebung zeige weiterhin, dass die Profession ihre Sprechstundenpflicht zu weit über 100 Prozent erfülle. „Auf dieses Ergebnis bin ich sehr stolz, das ist eine enorm gute Quote“, betonte der Kammerpräsident. Man müsse aber auch sehen, dass die Sprechstunde nur geleistet werden könne, weil dafür Behandlungszeit verwendet wird. „Derzeit haben wir Hinweise, dass dadurch weniger Therapiestunden verfügbar sind. Nicht bestätigt hat sich die Annahme der Kassenärztlichen Vereinigungen, die Zahl der Behandlungsanwärter werde sinken, weil viele, die sich melden, gar keine Psychotherapie benötigen“, erläuterte Gerd Höhner. „Tatsächlich ist die Nachfrage nach Leistungen gestiegen. Wenn man den Zugang erleichtert, wächst natürlich auch die Nachfrage. Zum Beispiel kommen jetzt Menschen in die Sprechstunde, die im vorherigen System nach zehn unbeantworteten Nachrichten auf dem Anrufbeantworter einer Praxis einfach aufgegeben haben, einen Therapieplatz zu finden.“